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Davide Allieri

Cells

GALERIE HUBERT WINTER
 10.11. - 23.12.2023

Eröffnung: 9. November 2023, 18 - 21 Uhr

Das Leben ist ja doch gewaltig. Man geht sich überall verloren.
Die letzten Zeilen. In: Louis-Ferdinand Céline, Krieg. Roman. Dt. v. H. Schmidt-Henkel. Hamburg, Rowohlt, 2023.

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On Temporal and Functional Indeterminacy in Davide Allieri’s sculptural practice

Eine kleine Kammer, ein Hohlraum oder ein begrenzter Raum. CELL. Eine Behausung in einem Kloster oder einem Gefängnis. CELL. Eine Grundeinheit einer Organisation oder Bewegung. CELL. Eine biologische Einheit, die aus Protoplasma besteht und von einer halbdurchlässigen Membran begrenzt wird. CELL. Ein Gefäß, das Elektroden und einen Elektrolyten enthält. CELL. Eine Einheit in einer statistischen Anordnung. CELL. Ein Teil der Atmosphäre, der sich als Einheit verhält (Wetter). CELL. Ein Abschnitt eines geografischen Gebiets eines zellularen Netzwerksystems. CELL.

Die Zelle in ihrer einfachsten und grundlegendsten Form ist ein räumliches Kompartiment, das in der Lage ist, die grundlegende Distinktion zwischen innen und außen, leer und voll, zu schaffen und in weiterer Folge auch eine schützende und isolierende Funktion zu erfüllen. Die Arbeiten von Davide Allieri konstruieren Umgebungen, in denen lineare Zeitlichkeit ins Wanken gerät. Zellen, Hüllen, Kapseln, Zonen oder ähnliche räumliche Konfigurationen, die Betrachter:innen in postapokalyptische, posthumane Landschaften versetzen. Ein Szenario, das sich mit dem berühmten Diktum deckt, dass wir uns eher das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorstellen könnten. Die Überbleibsel unserer hyperkapitalistischen Technosphäre haben uns überdauert; es bleibt unklar, ob in ihren Schaltkreisen ein endloses Brummen zirkuliert oder ob diese einsamen, technologischen Strukturen eine Eigendynamik entwickeln. Allieris facettenreiche Praxis – sie umfasst Zeichnung, Skulptur und Installation – öffnet Räume, Heterotopien, in denen die Ordnung der Dinge ins Schwanken gerät – man könnte sagen, Allieris Werke seien Zellen zeitlicher und funktionaler Unbestimmtheit.

In handgefertigten Fiberglasrahmen oder vielmehr Behältnissen, die an Schutzhüllen erinnern, befinden sich zarte Zeichnungen auf Transparentpapier. Jede von ihnen stellt apokalyptische Visionen, Science-Fiction-Szenarien, brutalistische Architekturen, Bunker, Schutz- oder Verteidigungsstrukturen dar. Diese präzisen Zeichnungen sind von einem Netz aus dichten und doch feinen Farbstiftstrichen überzogen, als ob sie die faserige Struktur des Fiberglases in die Zeichnung selbst übersetzen würden. Ein dystopisches Leuchten legt sich über diese verlassenen Landschaften. Es bleibt unklar, ob es sich bei diesen Zeichnungen um Entwürfe (angedeutet durch Transparentpapier als charakteristisches Material für architektonische Pläne) für schützende Architekturen und Umgebungen handelt oder um bestehende Dokumente einer apokalyptischen, zerfallenden Welt.

Während Allieris Zeichnungen ein gewisses narratives Umfeld schaffen, bewegen sich seine Skulpturen an der Grenze zwischen Kunstobjekt und Vorrichtung: noch Skulptur, noch nicht in Gebrauch. Diese zeitliche und funktionale Unbestimmtheit schreibt die Logik des Relikts um, indem sie es der Zukunft zuwendet – die Vorrichtung wird zum Gegenteil des Relikts, zu einem
Erinnerungsstück an eine verlorene Zukunft. Es verweilt im Grenzbereich von Vergangenheit und Zukunft, Dokument und Vorhersage, Zwecklosigkeit und Funktion oder Relikt und Apparat, Science und Fiction:

"Leblose Architektur. Riesig, mit abgenutzten Plastikelementen. Nennen Sie es funktional, um nett zu sein." (Blade Runner 2049)

Während die Kunst bei Davide Allieri nicht mehr eine Sache der Irritation, sondern der Katastrophe ist, schreibt er ihr doch die Fähigkeit zu, Raum und Zeit zu transzendieren und eine Zukunft zu imaginieren, auch wenn sie im Grunde genommen verloren zu sein scheint.