Ausstellungsliste nach Galerien
 Ausstellungsliste nach Künstlern

Arnulf Rainer

Neue Bilder


  Galerie Ulysses
  13.05. - 11.10.2003

 

Eröffnung: am Samstag, 10. Mai 2003, 11:00 Uhr


Arnulf Rainer – Malerische Farbschleier

von Florian Steininger

Im Rahmen von Arnulf Rainers Retrospektive im Kunstforum Wien wurden seine aktuellsten Arbeiten gleichsam als »Gegenbilder« – so auch der Titel der im Jahre 2000 stattfindenden Schau – in den Kontext des bislang bekannten Bilderkosmos des Künstlers gestellt: Gegenbilder, die all den Kriterien und Eigenschaften des Rainerschen Bildbegriffs vehement widersprechen, ja sogar diametrale Positionen einzunehmen scheinen. An jene Werke schließen auch seine neuesten Bildergebnisse stilistisch nahtlos an.

Transparenz versus Dichte
Mit sanftem körperlichen Einsatz wischt der Künstler die Farbe zart in leicht wogenden Bögen auf den Bildträger. Sowohl die Offenheit des Pinselstrichs als auch das selbstverständliche Fließen-Lassen der Farbe bilden einen transparenten, leuchtenden Schleier, der das Dahinter preisgibt. Oft dominiert eine einzige Farbe, wie etwa in Roter Vorhang oder Blauer Hänger. Die gezogenen Fährten definieren ein ausgewogenes kompositorisches Konstrukt von Verkreuzungen, Konkav- und Konvexschwüngen – die Stabilität und Kompaktheit der Bildsituation unterstützend. Die unbehandelten Stellen fungieren als verstärkte Lichtzonen und intensivieren den hellen eleganten schimmernden Charakter.

Damit wendet sich Rainer vom bisherigen Primat der Dichte und Fülle seiner Übermalungen und Zumalungen ab. Schon bereits in seinem surrealistisch orientierten Frühwerk von 1949/50 forciert Rainer die vorgegebene Fläche zu verdichten, mit Zeichen aus dem Unbewussten, der dunklen Tiefe, aus dem Abgründigen zu füllen und dem satten Schwarz die Vorherrschaft zu verleihen. Ein stetiger innerer Drang und die manische Einstellung treibt den Künstler zur Überwindung des horror vacui. In den ab 1953/54 entstandenen Zumalungen herrscht eine dichte, satte, beinahe an die faktischen Bildgrenzen auslaufende Malschichte vor, die das Darunter – ob eigene Arbeit oder fremdes Bild – nicht mehr preisgibt, geprägt von der Verbesserungswut des Künstlers, wieder und wieder die aktuellste Malschichte zu vernichten und auszulöschen, um sie in ihrer Qualität zu steigern. Daraus resultiert eine Vielzahl von in sich gestärkten, mit purer Malerei gesättigten Tafelbildern, die Rainers Perfektionismus in der »konstruktiven Destruktion« widerspiegeln.

Diese opake sedimentierte Dichte, diese intensive Versiegelung der Oberfläche hat nun Rainer aufgebrochen und Licht einströmen lassen. Von der schwarzen Nacht und der dunklen Ozeantiefe hat sich der Maler abgewendet. Licht als Transformation von gemalten Farbschleiern und pulsierenden Vorhängen prägen seine neuesten Bildkreationen. Räumlichkeit wird sichtbar, wenngleich diese auf sich selbst bezogen ist und nicht von einem realen örtlichen Gefüge abgeleitet wird. Ein optisch illusionistisches Flirren und Funkeln tritt in Kraft. Obwohl der Bildträger sich meist aus Karton auf Holz zusammensetzt, wirken die gemalten Zonen, als ob sie von ihrem Grund aufgesogen werden würden, ähnlich dem saugfähigen Gewebe der Leinwand. Die Farbe konstituiert sich nicht mehr als Materie, wie in den älteren Bildern, sondern wird eins mit ihrem Träger, zum Beispiel vergleichbar mit den Veils von Morris Louis, die sich als polychrome abstrakte Vorhänge definieren.

Kolorit versus Schwarz
Die Schönheit der Farbwerte an sich steht mehr als je zuvor im Zentrum von Rainers malerischer Auseinandersetzung. Die Pracht des Kolorits scheint Rainer früher allzu verführerisch und effekthascherisch gewesen zu sein. Das dunkle satte Schwarz dominiert. Die Auslöschung des Sichtbaren, des Motivs, des traditionellen Abbildes führt jedoch zugleich wiederum zu einer Malerei, die ihr Eigenstes sichtbar macht. Buntfarbigkeit fungiert damals ausschließlich als Akzent des Aggressiven und Expressiven, ob in den kreischend psychedelischen Farbwerten der neosurrealen Fratzen-Bilder der späten 1960er Jahre oder in den Fingermalereien der 1970er und 1980er Jahre. Die Farbe Rot setzt der Künstler früher oft in Verbindung mit dem Blut, der Wunde, der Qual und dem Opfertod Christi ein. Nun hat Rainer zur Farbenpracht gefunden und bekennt sich zu ihr. In diesem Zusammenhang tritt dazu ein Äquivalent in Gerhard Richters malerischem Werdegang auf. Seit Mitte der 1970er Jahre malt Richter farbintensive, opulente, abstrakte Kompositionen, nachdem er sich der Enthaltsamkeit und dem Purismus der Grauen Bilder hingegeben hat: eine Antwort auf seine letzten Bilder, die sich mit den modernistischen Aspekten des abstrakten Tafelbildes auseinandergesetzt haben: Abstraktion, Auflösung, Selbstanalyse, Schweigen, so wie auch in Ad Reinhardts Black Paintings oder in den schwarzen Übermalungen von Arnulf Rainer. Opulente, leicht beschwingt und ästhetische farbintensive Gemälde sind die Folge, die sich selbst genügen und gefallen, ohne »avantgardistischer Moral«.

Sanfte Eleganz versus Radikalität und Aggressivität
Rainer verwendet Besen und Bürsten, die er sanft über den Karton oder das Blatt Papier streift. Ihre Haarstruktur, die graphische Elemente hervorruft, erinnert ein wenig an zeichnerische Artikulationen vergangener Zeit: Bögen, Kämme und Kurven, erfüllt voll rasender Aggressivität und Intensität. Vor allem in Rainers Kaltnadelradierung ab den frühen 1960er Jahren ist seine körperliche Vehemenz und die aggressive, verletzende Wirkung des Werkzeugs stets sichtbar. In den neuen Arbeiten fließen die Linien zu Strömen zusammen, beruhigt und sanft. Manchmal fügen sich gezeichnete Spuren in den malerischen Komplex des Künstlers ein, gemäßigte seismographische Spuren, Erinnerungen an Rainers Vertikal- und Zentralgestaltungen, Höhepunkte der zeichnerischen Verdichtung in seinem Werk.

Manchmal untergräbt Rainer ein wenig die sanfte Eleganz seiner Farbschleier, indem er dem Tafelbild Wunden zufügt – Kratzer als spannungsgeladene graphische Gegensätze zum beruhigten malerischen Wert. Dennoch dominieren die Harmonie, die weichen Schwünge, die Illusion der gemalten Farbflächen. Rainers Verbesserungswut sind diese Werke bis jetzt noch nicht ausgeliefert worden. Es rückt das Schöne konfliktfreie Gemälde in das Zentrum der Konzeption, der körperliche, expressionistische Einsatz hat spürbar zugunsten einer sanften eleganten Bildfindung abgenommen. Zerstörung, Wut, der Trieb zur andauernden Verbesserung, zum in sich gestärkten absoluten Bild sind in den Hintergrund geraten.

Rainer gilt mit seinen Zumalungen aus den 1950er Jahren zu den radikalsten und entscheidendsten Vertretern der modernen Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg. Monochromie und Abstraktion waren damals die vorrangigen Mittel, um an die Grenzen des Mediums zu gelangen, die von Malewitsch und Rodtschenko erstmals in den 1910er und frühen 1920er Jahren ausgelotet wurden. Hiermit steht Rainer in direktem Zusammenhang mit Yves Klein, Mark Rothko, Piero Manzoni und besonders mit Ad Reinhardts Black Paintings, die wie bei Rainer die Negation und Auslöschung in sich tragen.

Jedoch hat Rainer immer an das Medium der Malerei weiter geglaubt, trotz des scheinbaren Erreichens gewisser End- und Absolutpunkte – in der Form seiner schwarzen Übermalungen. Wenn auch Komponenten des Aktionismus und der Performance, wie etwa in den Face Farces, Rainers Kunstbegriff erweitern, bleibt er stets dem Tafelbild und der persönlichen malerischen oder graphischen Handschrift treu – im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen des Wiener Aktionismus, die der Malerei damals eine radikale Absage erteilt haben.

Sein Werk ist so facettenreich, gleich einem Kaleidoskop, das Gegensätze in sich vereint: Verweigerung und Bejahung, Reduktion und Fülle, Stille und Aggressivität. Eine lineare Entwicklung ist daher bei ihm nicht nachvollziehbar.

Trotz der diametral entgegenwirkenden Charakteristika im Werk von Arnulf Rainer hat er jedoch in seinen aktuellen Bildern eine neuartige Haltung zum Tafelbild grundsätzlich eingenommen. Egal, ob expressiv körpergeladen, wie in seinen Überzeichnungen, Bogen-Bildern, Face Farces, Body Poses oder Fingermalereien oder meditativ, wie in den schwarzen Übermalungen und dunklen dichten malerischen Kreuzen der 1950er und 1960er Jahre – bei all diesen Werken dominiert die innere Spannung, der Drang, der Druck nach dem Spröden, dem Schwierigen, dem nicht leicht Zugänglichen, der Kampf und das Ringen um eine Bildlösung. Heute tritt eine konfliktfreiere Mentalität zutage. Selbstverständliche ästhetische Würfe der reinen Malerei entstehen, voller koloristischer Eleganz, befreit vom Dornigen, von der rasenden Intensität, dem Tiefenrausch der stummen dunklen Malerei, der Verinnerlichung der »gotischen Schwere«.

Es ist ein oft anzutreffendes Phänomen, dass das Spätwerk bei manchen Künstlern eine gelöste, frische und auch für sich stehende Bedeutung einnimmt, wie etwa bei Joan Miró, Pablo Picasso, Karel Appel oder Willem de Kooning. Vor allem Willem de Koonings Arbeiten der 1980er Jahre wurden häufig kritisiert und als manieristischer Abklatsch seiner frühen fulminanten expressionistischen Würfe abgetan. Heute betrachtet man sein Spätwerk aus einem anderen Blickwinkel, sieht es als neues Kapitel und als gewissen Befreiungsschlag an: virtuose, elegante Kompositionen, die zwar wesentliche Rudimente eines typischen Willem de Kooning implizieren, jedoch in eine neue Richtung weisen. Vor allem Maler wie Brice Marden, David Reed oder Robert Zandvliet zeigen deutliche Verwandtschaften zu de Koonings Spätwerk und unterstreichen somit seine eminente Bedeutung und Kraft.

Rainer scheint seit etwa Mitte der 1990er Jahre, begonnen mit den Geologicas (1996) und den Schleierbildern (ab 1998), ebenso ein neues Kapitel eröffnet zu haben, das sich erstmals von seinen gewohnten, ab den frühen 1950er Jahren gewachsenen und ausgeformten Mentalitäten deutlich absetzt, wenngleich Reste seiner Handschrift stets vorhanden sind: eine Freiheit, in der Malerei selbst neue Perspektiven zu finden.