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Herbert Brandl

RIO BRANDL. Werke der 20 a Bienal de São Paulo, 1989

GALERIE THOMAN INNSBRUCK
 17.12.2021 - 26.03.2022

 



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HERBERT BRANDL, Ohne Titel, 1989, ink on paper, 150 x 829 cm

Große Zeichnungen, ohne Titel. Dennoch benennbar, sozusagen scheinbar schildernd. Der Betrachter kann und darf erkennen, doch der Künstler führt ihn auf Irrwege, denn er kennzeichnet nicht genau. Es geht nicht um ein Realismusproblem, nicht um deutliche Schilderung, nicht um ikonographische Bindungen, denn diese verbleiben im Hintergrund. Schwarz auf Weiß, das Durchbrechen des normalen Standards einer Zeichnung im Sinne des Formats. Brandl ufert aus, nutzt große Papiere für neue Aussagen. Diese sind freiheitlich und sicherlich emotional gesetzt. Sie folgen kinetischen Zwängen, die aus körperlicher Physis entstehen. Brandl ist ein eruptiver Künstler, nicht der, der die Zeichnung vorher festlegt, der sie woanders ausführen läßt. Er ist ein Künstler von eigener Handschrift. In der österreichischen Tradition ist Brandl ein Fortsetzer. Er greift Gedanken auf, die vor ihm legitimerweise von Künstlern wie Egon Schiele und Oskar Kokoschka gegangen worden sind.

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HERBERT BRANDL, Ohne Titel, 1989, ink on paper, 76.7 x 58.9 cm

Doch etwas unterscheidet den jungen Künstler von seinen Vorfahren. In der österreichischen Kunst ist der künstlerische Skandal nie über die Form geführt worden, sondern immer über das Thema. Es war pornographisch oder antikirchlich; es war zu privat. Diesen voyeuristischen Aspekt vermissen wir in Brandls Arbeiten. Statt dessen setzt er Kunst völlig direkt, sozusagen subjektiv konsequent. Körpergefühle erarbeiten sich wie von selbst, die Tradition de l´art pour l´art und des Tachismus werden beschworen, dennoch formulieren sich Gestaltungen zum vielfältig sind, deren Mehrdimensionalitäten eigentlich nicht mehr mit Buchstaben schreibbar sind, es sei denn, wir versuchen Dostojewski als blow-up, um in den Worten Unleserlichkeit zu konstatieren im Gegensatz zum Bild. Einleuchtend ist auf den ersten Blick, dass Herbert Brandls Arbeiten dem System der Unterhaltung folgen. In der Zusammenstellung der großen Zeichnungen ergibt sich zwar ein theatralisches, szenarisches Konstrukt, in der Einzelbetrachtung aber differenzieren sich die einzelnen Zeichnungen wie autonome, legitime Zeichnungen einer Psychologie. Brandl setzt Zeichen, die zu Zeichnungen werden. Er arbeitet mit Schwarz auf Weiß. Er verzichtet auf Farbe, auf Verschönerung, mögliche Überhöhung und Idealisierung. Doch Schwarz ist nicht Schwarz, Weiß ist nicht Weiß. Der Bildträger, das Papier, wird überschüttet, überfahren, geradezu übergangen. Dennoch bilden jene freie Parien, also die nicht überzeichneten, den Ausgangspunkt einer möglichen Erkennbarkeit. Brandl bearbeitet das Papier, ohne es zu vergewaltigen. Das Bild bleibt erklärbar Bild. Die Darstellung akzeptiert den Bildträger. Umso gewaltiger sind seine Formulierungen, seine Strichsetzungen, seine Bedeckungen, seine Zusetzungen. Der Bildträger wird zum Ausgangspunkt von Dramatik, von Totem, Kreuz, Menschlichkeit, Fleisch; Formulierungen, die unerkannt bekannt werden, die klandestine Positionen aufgeben. Brandl akzentuiert das Drama der Zeichnung.

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HERBERT BRANDL, Ohne Titel, 1989, ink on paper, 70.7 x 49.9 cm

Die großen Dimensionen Entsprechen dem ebenso wie die Heftigkeit des Auftrags. Die Zeichnung ist also nicht Skizze, nicht Vorbereitung. Sie ist nicht erste Impression, oder auch nur Idee für späteres Kunstwerk, sondern autonome Setzung, legitime Eruption, um sich selbst zu verwirklichen. In diesem zenartigen Charakter, jene Flüchtigkeit, die sie dem erweiterten Ideenbereich einschreiben. In diesem selben Maße wie Brandl nicht präzisiert, erfahren seine Kunstwerke Mehrdeutigkeiten in der Betrachtung, die dieses Tun als Prozeß – also als das eigentliche Metier des Künstlers zu schaffen - widerspiegeln. Brandl operiert mit offenen Karten. Seine Kunstwerke sind echte Konfrontationen, also Herausforderungen. Er setzt dem Betrachter etwas entgegen, das er nachvollziehen kann oder auch nicht. Brandl ist dediziert eruptiv, herausschleudernd und zugleich herausfordernd. Er verschweigt nichts, er arbeitet ohne Verstecke. Brandl wirft hinaus, fordert damit, ist auffordernd, zugleich aber privat. Brandls Kunst, von verschiedener Technik geprägt, ist von einem ausufernden Barock. Alte Traditionen werden neu visualisiert, Vergangenheiten aktualisiert. Doch nur dadurch, dass er der Künstler persönliche Erkenntnisse, die auf Erfahrungen oder Ahnungen basieren, erzeichnet. Brandls Zeichnungen sind Statements eines Einzelnen in unseren Gesellschaften, die sich der Bewegung als Unkontrolliertheit. Der Innovation ebenso wie einer mangelnden Moral verschrieben haben. Das scheinbar Unkontrollierte wird vom Künstler kontrolliert, dort wo die Gesellschaft selbst ihre Entwicklungen nicht mehr kontrollieren kann. Es geht also um moralische, aber nicht moralisierende Standpunkte; jene die dort wirksam werden, wo das Schwarz auf Weiß, gemeint ist die Buchkunst, also die Folgen von Gutenberg, zwar Ideen propagieren, aber die Wirkung der Idee vielleicht nicht mehr beherrschen können, weil der einzelne in unserer Gesellschaft zu sehr darunter zu leiden hat. Brandl nimmt diesen Standpunkt des einzelnen wahr, er artikuliert ihn. Seine Zeichnungen sind Verzweiflung und Freude, Negation und Optimismus, Präzisierung und Ausweichen, Einschreibung und Dominanz.

DIETER RONTE
Wien, Juli 1989

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