Sieger schreiben Geschichte.
Die letzten Zeilen. In: Michael Sommer, Mordsache Caesar. Die letzten Tage des Diktators. München, C. H. Beck, 2024.
Guillaume Bijl (*1946, Antwerpen) ist bekannt für seine großformatigen Installationen und seinen visuellen Realismus. Seit den späten 1970er-Jahren schafft Bijl realistische Dekors aus gefundenen Objekten. Damit spielte er eine Pionierrolle bei der Wiederbelebung des Readymade. Bijl zeigt dem Publikum verschiedene Aspekte unserer westlichen ‘Zivilisation‘ und Konsumgesellschaft. Unter Verwendung extremer Stereotypen schafft er auf tragikomische und befremdliche Weise eine Art ‘Archäologie unserer Zeit‘.
Auf der Suche nach einer Ausdrucksform, welche die Einbindung des Publikums ermöglichen könnte, begann der junge Guillaume Bijl, ein Autodidakt, in den 1970er-Jahren Projekte auf Papier zu entwickeln (Project Pleasures). Die wichtigste Serie umfasste neun ‘Treatments‘ (Betrachtungen). Diese Serie setzt sich mit verschiedenen gesellschaftlichen Determinanten und Phänomenen auseinander, wie der Kirche, dem Militär, dem Bildungssystem, der Freizeitindustrie, Sex, Geschäftsleuten oder dem Arbeitsalltag von Industriearbeiter*innen.
In diesen Darstellungen auf Papier zeichnet Bijl eine Spur, begleitet von einem Schritt-für-Schritt-Drehbuch, das die Besucher*innen von Raum zu Raum führt, um den Lebenslauf beispielsweise eines Soldaten zu verfolgen. Diese Projekte bilden die Grundlage seines späteren Gesamtwerks – sowohl visuell als auch inhaltlich.
1979 schuf Guillaume Bijl seine erste Installation Autorijschool Z bei Ruimte Z, in einer von Künstlern geführten Galerie in Antwerpen. Der Künstler thematisiert hier, was nicht hätte passieren dürfen: Die Galerie wurde in eine wenig ansprechende kommerzielle Institution, eine Fahrschule, umgewandelt. In diesem lebensnahen Dekor stellte der Künstler Stühle und Bänke für die Schüler, eine Tafel, didaktische Tafeln mit Verkehrszeichen, ein Modell eines Motors usw. bereit. In dieser ersten Installation lassen sich bereits drei Elemente erkennen, die für sein gesamtes Werk charakteristisch werden sollten. Erstens ein Spiel zwischen Fiktion und Realität, das bei den Betrachter*innen ein Gefühl der Entfremdung oder Verwirrung hervorruft, welches durch den Akt der Verschiebung durch den Künstler verursacht wird. Zweitens kritisiert Bijl ein zeitgenössisches gesellschaftliches Phänomen. Und drittens: Durch die Platzierung der Installation in einem Kunstraum wird jedes Objekt zur Skulptur und zum visuellen Bild.
Diese Fahrschule war die erste einer Reihe von Transformationsinstallationen, die sich zu einem visuellen Epos gesellschaftlicher Phänomene entwickelten. In diversen Museen und Galerien schuf Bijl unter anderem ein Fallout Shelter (Lüttich, 1985), eine Shooting Gallery (Eindhoven, 1985), eine Caravan Show (Grenoble, 1989), einen Supermarket (Tate Liverpool, Frankfurt, Basel), einen Central Airport (Basel, 1986), einen Futon Store (New York, 1989), einen Wig Store (Brüssel, 2012) und einen Dog Grooming Salon (Zürich, 2016).
Zusätzlich zu diesen Transformationsinstallationen gibt es fünf weitere Werktypen in Bijls Œuvre. Die Bezeichnungen dieser Werktypen dienen zugleich als Titel. Manchmal gibt es bei der Eröffnung ein “Tableau Vivant“ / eine Performance.
In seinen Situationsinstallationen erschafft Bijl Fiktion in der Realität, meist im öffentlichen Raum. 1995 beispielsweise montierte er während der Documenta 9 in Kassel ausgestopfte Vögel auf Dächer und Laternen.
Kompositionen, meist Composition Trouvée genannt, sind Fragmente der Realität – Objekte, die scheinbar aus Antiquitäten- oder Geschenkläden stammen. Diese oft kitschig wirkenden Werke sind kleiner im Maßstab und stets durchdacht zusammengestellt. Seine Sorry Works können verschiedene Formen annehmen. Sie sind Kompositionen aus Objekten oder Installationen mit einem absurden Element, das sie aus der Realität heraus in die Sphäre des Surrealen führt. Ein schönes Beispiel ist ein Vogelnest, das eine rote und zwei weiße Billardkugeln enthält – ein bizarres Stillleben.
Mit seinem Thema Cultural Tourism schafft Bijl Installationen, die banale Museen und Massentourismus-Phänomene näher beleuchten, wie beispielsweise in Roman Road (Middelheim Museum, 1994) oder der Installation Lederhosen Museum (Graz, 1997). In jüngerer Zeit hat Bijl realistisch bemalte Bronzeskulpturen und Szenen geschaffen, wie Feestelijke Beelden am Europaplein in Amsterdam (2014), Saluting Admiral Couple im MAS, Antwerpen (2016), oder die Statue eines Geschäftsmannes, der vor Freude einen Handstand macht: Ein neuer erfolgreicher Tag, Wuppertal (2008), sowie Lighthouse/Watchtower, De Haan, im öffentlichen Raum.
Guillaume Bijl hatte bedeutende Einzelausstellungen und nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen teil, darunter die Paris Biennale (1982), SMAK, Gent (1984), Kunsthalle Bern (1986), Belgischer Pavillon – Venedig Biennale (1988), New Museum, New York (1989), Documenta 9, Kassel (1992), Sydney Biennale (1992), Centre Pompidou, Paris (2000), Skulptur Projekte, Münster (2007), 11. Lyon Biennale (2011), Istanbul Biennale (2013), Busan Biennale (2006) und Manifesta 11, Zürich (2016). Kürzlich nahm er an folgenden Projekten teil: Beaufort (2018), Play, Kortrijk (2018), Félicien-Rops-Museum, Namur
(2018), Power to the People, Schirn Kunsthalle, Frankfurt (2018), The Bruegel Year, Dilbeek (2019), Musée d’art Contemporain, Saint-Étienne (2021), Survey, Art Basel, Miami (2022), Unlimited, Art Basel (2023).
Guillaume wird von Galerien wie Nicolai Wallner Gallery (Kopenhagen), Nagel-Draxler Gallery (Berlin / München / Köln), Lumen Travo (Amsterdam), Keteleer Gallery (Antwerpen), Galerie Hubert Winter (Wien), Zero Galleria (Mailand) und Meredith Rosen Gallery (New York) vertreten.
Nadia Bijl
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