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RAINER MAL(T) RAINER
Repainted also heißt Arnulf Rainers ebenso außergewöhnliches wie aufregendes Alterswerk, alternativ träfe freilich auch „Rainer mal(t) Rainer“ zu. Die herzerfrischend kraftvollen und farbinnigen Bilder sind von atemberaubender Zartheit, jugendfrisch, alterslos. Denn Repainted ist die programmatische Summe seiner künstlerischen Ambitionen, sein malerisches Selbstgespräch mit dem eigenen Schaffen quer durch die Maljahrzehnte. Die dicht an dicht gehängten Bilder erzählen in der Galerie Ulysses von Rainers Grundvokabular; von seiner individuellen Handschrift, seinem gestischen Malduktus; von den frühen Nahkämpfen, als er die Leinwand mit Händen und Füßen traktierte; von seinem Spätwerk, bei dem er die Leinwand nicht mehr direkt berührte, sondern die vielen, extrem dünnen Schichten mit dem Pinsel auftrug. Als Beispiel seien die Schleierbilder genannt, an deren Rändern verschattetes Gelb, Lila, Rosa, Blau durchscheinen. „Ich sehe sofort, wenn ich noch drübermalen könnte. Ich sehe immer die Lücken in meinen Bildern. Ich bin auf Lücken fokussiert, wie ein Zahnarzt.“ Mit furiosen Hieben, nervösen Strichen, hauchdünnen Schleiern, abrupten Schlenkern, blickdichten Farbvorhängen hat Rainer, dieser große österreichische Übermalungs- und Überraschungskünstler, also Reproduktionen seiner früheren Arbeiten übermalt, repainted. Seine Bilder selbst zu qualifizieren sei ihm künstlerlebenslang am schwersten gefallen: „Ich kann erst nach zehn, zwanzig, dreißig Jahren sagen, welches Bild gelungen ist. Es ist wichtig, offen zu bleiben und zu sehen und zu hören, was einem die Bilder sagen wollen. Wann ich aufhören kann. Und welches Bild mich ruft, nach diesem Strich, diesem Fleck, nach einer bestimmten Farbe verlangt.“. Rainer, ein künstlerischer Serientäter, ein Meister der kleinen Formate: Stets arbeitete er an mehreren Bildern gleichzeitig, ging von Blatt zu Blatt, klatschte hin, streichelte darüber, haute drauf. Er blieb in seinem Alterswerk seinem Vokabular und seinem Farbspektrum treu, wenngleich es luftiger geworden ist, heller, leichter, auch poetischer, jedenfalls erstaunlich jugendfrisch. Es ist schlicht schön. „Ich arbeite immer an mehreren Bildern gleichzeitig. Das geht bei Großformaten nicht. Natürlich habe ich auch Altershandicaps, ich kann mich nicht mehr so verausgaben, weil meine Wirbelsäule schon sehr fragil ist.“ Aber, nein, altersmüde war Rainer gewiss nicht, als er mit dem Pinsel über seine früheren Arbeiten fuhr, sich und seine Malerei reflektierte. Und auch sein Publikum muss die Augen frisch und offen halten, denn die Galerie Ulysses hat ihre Wände geradezu geflutet mit Rainers Bildern in dem von ihm zuletzt bevorzugten Format, 42 mal 30 Zentimeter, weil er dessen Umfang besser überblickte und und ihm die Nähe zu der zu bemalenden Fläche besonders wichtig war.
Im November 2024 wurde Arnulf Rainer 95 Jahre alt. Geraucht, getrunken, gevöllert hat er nie; die gesunde Lebensweise fiel ihm nie sonderlich schwer, denn von Wirtshauskultur hielt er nie sehr viel, abendliche Trinkgelage mit Kollegen fand er schon in jungen Jahren selten lustig. „Ich bin kein Kaffeehaushocker oder Wirtshausgeher. Deshalb habe ich auch geographisch Distanz dazu gesucht.“ In seinem Fall heißt das: Er hat sich auf einen alten Vierseithof im nördlichen Oberösterreich zurückgezogen, dort, wo die Sommer meist kurz sind und an Herbsttagen schon früh Nebel aufziehen. „Das hat den Vorteil, dass ich dort als mein eigener Hausknecht herumgehen konnte, mit Arbeitskleidung und verschmutzt, wie das halt meine Arbeit nach sich zieht. Und es kommt niemand, vor allem nicht unangemeldet.“ Mehr als zwanzig Jahre verlegte er seinen Arbeitsplatz von November bis März auf Teneriffa. Mittlerweile hat er die Reisetätigkeit aufgegeben, auch das Malen ist (zu) beschwerlich geworden. Doch das Altern bedeutete für den nimmermüden Künstler auch einen Arbeits-Intensivierungsprozess. Je älter er würde, sagt er rund um seinen Neunziger, umso mehr und umso intensiver arbeite er, mitunter sogar noch mehr als früher. An konzentrierten Maltagen herrschte absolutes Ruhe-Gebot in seiner Umgebung, er ging nicht ans Telefon, aß den ganzen Tag nichts, trank höchstens Tee. „Man muss einen leeren Magen haben, sonst geht das Hirn nicht“, erläuterte er diesen kunstbedingten Fasttag. Schließlich sei Kunst machen eine Frage der Konzentration, „ich musste mich beim Malen konzentrieren wie der Schauspieler auf der Bühne.“ Schauspielerei hätte ihn schon auch gereizt, das Komödiantische, das Clowneske lag ihm, wie seinen Face-Farces dokumentieren. Aber, so seine Selbstanalyse, eine wesentliche Voraussetzung für den Schauspielberuf fehlte ihm: die Fähigkeit zur Teamarbeit. Rainer ist überzeugter Solist, erfolgreicher Autodidakt. Und: eitel? „Natürlich bin ich eitel, jeder Mensch ist das. Aber wer meine Selbstporträts kennt, kann nicht wirklich behaupten, dass ich mich verschönt habe.“

Höchstens einmal pro Woche reiste Rainer vom Vierseithof nach Wien, um Galeristen zu treffen, Ausstellungen zu besprechen, Interviews zu geben. Und bis 1995 auch, um an der Akademie der Bildenden Künste zu lehren. Allerdings schmiss er nach einem spektakulären Vandalenakt die Akademie-Professur vorzeitig hin. 1994 wurde in Rainers Atelier an der Akademie eingebrochen, vierzig Bilder, die zuvor im New Yorker Guggenheim-Museum ausgestellt worden waren, von Unbekannt schwarz übermalt. Ein Bekennerbrief mit anti-modernen Parolen blieb im Atelier zurück. Rainer vermisste Solidarität und Unterstützung seitens der Akademie-Leitung und dankte, zutiefst verletzt, vorzeitig ab.
So bitter wie das professorale Ende, so frustrierend war übrigens auch Rainers studentischer Start an der Wiener Kunstakademie. Geboren am 8. Dezember 1929 in Baden, aufgewachsen in Klagenfurt; Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Angewandte Kunst bestanden. Doch dort war Rainers überbordende Phantasie ganz offensichtlich fehl am Platz, weshalb der angehende Künstler nach nur einem Tag an der Hochschule die Ausbildungsstätte wechselte. Auch an der Akademie der bildenden Künste bestand er die Aufnahmeprüfung auf Anhieb. Aber, so erinnert er sich mit Schaudern, „an der Angewandten erlebte ich einen kleinen Schock, an der Akademie einen großen.“ Nach drei Tagen verließ er auch diese Künstlerschmiede. Das, sagt Rainer, habe sich ausgesprochen positiv auf seine (künstlerische) Biographie ausgewirkt. Als Herumreisender durch die Kunstzentren Europas sei er der engstirnigen, postnationalsozialistischen, österreichischen Kunst-Provinzialität entkommen, ja, und außerdem sei er dreimal im Hafen der Ehe gelandet. Ohne Trauschein, aber mit Bestand lebt Rainer fast sein gesamtes Künstlerdasein mit Hannelore Ditz zusammen, sie ist sein kluger Lebensmensch, seine Managerin und, wie auch die gemeinsame Tochter Clara, wissende Kooperationspartnerin für Museumsleute und Ausstellungsmacher.
Rainer, bei dem beide Versuche, sich den Strukturen eines Akademiebetriebes unterzuordnen, spätestens nach drei Tagen fehlschlug, war auch in seiner Kunst unnachgiebig und kompromisslos. „Man weiß ja immer nur den nächsten Schritt. Viele Schritte sind ein Weg, aber wie der verläuft, kann man nicht vorhersagen.“
Nach surrealistischen Unterwasserbildern änderte er bald darauf so radikal seine Bildinhalte, dass vorerst nichts übrig blieb: Nada-Malerei nannte er Anfang der 50er Jahre die leeren Bilderrahmen an der Wand. Er experimentierte mit Blindmalereien und Nachäffungen: bei letzteren drückte er Schimpansen den Pinsel in die Hand und versuchte anschließend, die spontane, ungezügelte Malgestik der Affen nachzuempfinden. Spektakulär seine Beschäftigung mit der Kunst psychisch beeinträchtigter Menschen, unter ärztlicher Aufsicht schluckte er LSD und Psilocybin. 1957 stellte er erstmals seine Kruzifikationen aus: das Kreuz als religiöses Paradigma beschäftigte ihn immer wieder, auch seine späteren Kreuz- und Christusbilder sind zwar nicht formale, wohl aber intellektuelle Rückgriffe auf diesen Zyklus. Zehn Jahre später markierte ein Schwarzer Vertikalstrich auf blondem, nacktem Mädchen den Beginn der Körperbemalungen. Leitmotiv durch sein vielfältiges künstlerisches Werk war Destruktion: von Illusionen. Von Normen. Und schließlich von Kunstwerken. Monsignore Otto Mauer, Leiter der legendären „Galerie nächst St. Stephan“ und über lange Zeit der einzige, bei dem Österreichs Avantgarde künstlerisches Asyl fand, schrieb über Rainers erste Übermalungen: „Rainer schafft Vorhänge, die sich allmählich aus Hunderten von Pinsellagen bilden, schwarze und farbige Vorhänge, die das überdecken, was unaussagbar ist.“ Nach seinen Grimassenbildern überarbeitete Rainer Fotoreproduktionen von Totenmasken, weil ihn, wie er sagte, „ die mimisch-physiognomische Sprache dieser Gesichter berührt: das Hinübergeglittene und Gelittene.“ Rainers künstlerisches Lebensthema ist die Überarbeitung. Bei den Alten Meistern gehe es ihm nie darum, die Vorlage zu verbessern: "Ich kann nicht besser sein als die Großen der Kunstgeschichte. Es ist eine Aneignung. Ich bin", bekennt er, "immer bildhungrig. Ich möchte andere Kunst in mich hineinessen.“ Rainer, der Über-Maler von Fossilienbildern, von Abbildungen von Schlangen, Reptilien, Pflanzen, von Reproduktionen alter Meister und schließlich Rainer, der Über-Maler von Reproduktionen eigener Werke.
Kunstgeschichte faszinierte ihn immer mehr, Giotto zählt zu seinen Heroen. Teure Kunstbücher waren und sind ihm Lebensmittel, sein einziger Luxus. Früher las er viel, heute schaut er eher, betrachtet Kunstbücher, lässt Bilder auf sich wirken. Dank der guten Reproduktionstechniken könne er in der Abgeschiedenheit seines Bauernhofs die Kunst besser und stressfreier studieren als - eingekeilt in einen schubsenden, schiebenden, drängenden Betrachterstrom - bei Ausstellungen. Seine Definition von Glück ist ein gelungenes Kunstwerk.
Rainer, ehemals Enfant Terrible der Österreichischen Szene, zählt zur internationalen Künstler-Elite. Längst hängen seine Bilder in den wichtigsten Museen weltweit. Die Pinakothek der Moderne in München ehrt den Träger des Großen Österreichischen Staatspreises und mehrmaligen Documenta- und Biennale-Teilnehmer mit einem eigenen Arnulf-Rainer-Saal, 2009 wurde im ehemaligen Frauenbad seiner Geburtsstadt Baden bei Wien das Rainer-Museum eingerichtet, ein würdiger Ort für ein vielfältiges Werk. Und 1989 hatte er als erster und einziger lebender österreichischer Künstler eine Solo-Show im New Yorker Guggenheim-Museum. Jedoch: „Amerika war nicht so erfolgreich wie ich gehofft hätte. Ich war zu kurz dort. Da muss man länger ansässig sein“ analysiert er seine Übersee-Erfahrungen. Aber erstens fühlte er sich damals schon zu alt, um in New York zu leben, und zweitens, sagte er grinsend, sei er kein Sprachentalent. Dennoch wurde 1993 in Manhattan ein Rainer-Museum eröffnet, fünf Jahre später wieder geschlossen. „Es enttäuscht mich natürlich, dass ich nicht mehr Erfolg hatte. Aber ich habe gesehen, dass ich ein europäischer Künstler bin, der geprägt ist durch die Kunst-Vergangenheit in Europa und der einfach nicht die Leichtigkeit der Amerikaner hat.“
Er jedenfalls bekennt sich zu seiner europäischen Herkunft, seinem Alter und zu seiner Generation, die er als die letzte Malergeneration bezeichnet. „Ich finde, es gibt keine so großen Künstlerfiguren mehr.“ Altersweise möchte er sich immer noch nicht bezeichnen, denn „dass man weise ist, kann man doch von sich nicht behaupten. Aber ich bin altersmilde geworden“. Und das klingt dann so: „Ich habe viele Kritiker, ich bin nicht sakrosankt. Niemand ist das zu Lebzeiten. Aber“, fügt er spöttelnd hinzu, „es gibt den berühmten Ablebensbonus. Ich kenne Künstler, die sagen immer, sie werden’s nicht mehr lang machen, nur um das Geschäft zu beleben.“
© Andrea Schurian, April 2025
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