Seit 50 Jahren ist die Wiener Galerie Ulysses Zentrum arrivierten Kunstschaffens.
Der gelernte Journalist John Sailer ist ein leidenschaftlicher Sammler und neugieriger Mensch. Als er einmal per Autostopp nach Venedig fuhr, hatte er besonders großes Glück: Er lernte den japanischen Fotografen Yoichi Okamoto kennen, der den jungen John Sailer mit Zuversicht und guten Ideen versorgte. Seit den 1950er Jahren war J.S. mit vielen Künstler*innen befreundet, vor allem aus dem Umkreis der „Galerie nächst St. Stephan“. Nach dem Tod des legendären Geistlichen und Galeriegründers Monsignore Otto Mauer im Jahr 1973, fehlte seiner Künstlerfamilie ein geeignetes Ausstellungsforum, und John Sailer, dieser grandiose Netzwerker mit dem außergewöhnlichen Kunstsachverstand, spielte mit dem Gedanken, diese Lücke zu füllen. Ausschlaggebend für die Realisierung war schließlich ein Gespräch mit dem Bildhauer Fritz Wotruba, der immerhin seit mehr als zehn Jahren nicht mehr ausgestellt hatte und nun John Sailer die Gründung einer Galerie ausreden wollte. „Aber wenn du wirklich eine Galerie machst, dann bin ich dabei“, sagte er zum Abschluss. Für Sailer war diese schöne Aussicht eindeutig genug Ermunterung.
Seinen Eintritt in die Kunstszene bereitete der mit Liebe zu Kunst und Künstler*innen reich ausgestattete Galeriengründer in einem Büro im Palais Schwarzenberg vor. Die Location war klug gewählt, Sailer konnte den Hausherrn, Kari Schwarzenberg, als Financier für die Galerie gewinnen. Am 30. November 1974, an seinem Geburtstag, bat Sailer zu seiner ersten Ausstellung in eine umgebaute Garage der Bundestheaterverwaltung im Hanuschhof. Titel der Kunstschau: „Hommage à Monsignore Mauer“. Gezeigt wurden ausschließlich Arbeiten ehemaliger „Nächst St. Stephan“-Künstler: Joannis Avramidis, Fritz Wotruba, Andreas Urteil, Hans Hollein, Arnulf Rainer, Markus Prachensky, Josef Mikl und Wolfgang Hollegha.
Nach zwei Jahren übersiedelte Sailer sich und seine Künstler*innen unters Dach am Opernring 21. Eine programmatische Entscheidung, denn „so schön die umgebaute Garage architektonisch war, sie hatte jenen Nachteil, den alle Galerien haben, die auf Straßenniveau sind. Es kamen zu viele Menschen nur durch Zufall herein und wussten mit der Kunst meist nichts anzufangen. Das bedeutete, dass man in nutzlose Diskussionen verwickelt wurde, was sich nicht zuletzt zum großen zeitökonomischen Problem entwickelte.“
Gabriele Wimmer, gebürtige Kärntnerin, kam eher durch Zufall in die und zur Kunst. 1968 las die Volkswirtschaftsstudentin eine Zeitungsannonce: „Berühmter Künstler sucht Ateliersekretärin“. Der berühmte Künstler war Arnulf Rainer, Wimmer bewarb sich mit Foto – und bekam den Job. „Ich habe als Atelierhilfskraft begonnen, ich hatte von nichts eine Ahnung, musste mir alles selbst erarbeiten. Ich habe im Laufe der Jahre das Rainer-Archiv angelegt und gelernt, wie man Ausstellungen organisiert. Und vor allem, wie man mit einem Künstler umgeht.“ Nach fünf Jahren Atelierarbeit streckte sie die Fühler nach Neuem aus, die damals in Gründung befindliche Galerie Ulysses erschien ihr besonders attraktiv: „John Sailer, der damals seine Zusammenarbeit mit Arnulf Rainer begann, kam ins Atelier. Das weitere war vorprogrammiert. Dass ich von der Künstlerseite komme, ist mir zugutegekommen, als ich in der Galerie zu arbeiten begonnen habe. Ich vertrete meine Künstler*innen auch aufgrund dieser Erfahrung mit Rainer besonders gut. Denn ich sehe die Wünsche der Künstler*innen. Ich mache das Galeriegeschäft aus ihrer Sicht.“
In den 1980er Jahren avancierte Galerie-Mitarbeiterin Gabriele Wimmer zur Hälfte-Eigentümerin. Ihr Einfluss auf das Ausstellungsprogramm war, und ist, unübersehbar. John Sailer war, nicht zuletzt durch seine engen Beziehungen zum amerikanischen Kritikerpapst Clement Greenberg und seine Freundschaft mit US-amerikanischen Kunstschaffenden, vor allem an abstrakter Malerei interessiert; Gabriele Wimmer holte im Laufe der Zeit zur Auflockerung des strengen Programms auch arrivierte Vertreter der deutschen wilden Malerei in die Galerie, Georg Baselitz zum Beispiel, Markus Lüpertz, A.R. Penck, Jörg Immendorff.
An Senkrechtstartern waren weder Sailer noch Wimmer interessiert. „Selbstverständlich ist die junge Generation interessant, und es gibt ganz bemerkenswerte Talente darunter. Ich selbst habe beispielsweise Siegfried Anzinger bereits gesammelt, als noch kein Mensch von ihm gesprochen hat. Wir gehen auch immer wieder in Ateliers und schauen uns Arbeiten an. Aber wir unterscheiden strikt zwischen kurzlebigen Trends und sich länger anbahnenden Entwicklungen. Außerdem bin ich der Meinung, dass jüngere Künstler*innen eine andere, nämlich ihre, Generation von Galeristen brauchen.“
Anlässlich der Rainer-Ausstellung im Guggenheim-Museum Ende der 80er Jahre wurden die internationalen Verbindungen sogar mit einer Niederlassung in New York gekrönt, zuerst gab’s nur ein Büro, später Galerieräumlichkeiten in SoHo und Uptown. „Damals war ein verstärktes Interesse der Amerikaner an europäischer, besonders aber auch an österreichischer Kunst zu spüren“, erinnert sich John Sailer. Als aber der New Yorker Kunstmarkt spürbar ermüdete, wurde die New Yorker Niederlassung wieder geschlossen.
Auf eine exakte Definition des Qualitätsbegriffs in der Kunst mögen sich die zwei nicht einlassen. „Es gibt keine messbare Qualität in der Kunst. Nicht einmal in der Betrachtung der Vergangenheit. Man hänge einen Rembrandt neben einen drittklassigen Maler seiner Zeit und wahrscheinlich wird man alle ‚messbaren’ Kriterien bei beiden anlegen können. Trotzdem ist der eine Rembrandt, der andere ein unbedeutender Maler“, sagt Sailer.
Das berühmte, nie definierte „Auge“ sei es vielmehr, das ein echtes Kunstwerk von schlechter Kunst zu unterscheiden vermöge. Das Auge, das durch das Ansehen von viel guter und viel schlechter Kunst geschärft werde; das durch analytische Betrachtungsweise eher gestört werde; das nur wenigen Menschen gegeben sei. Nach 50 Jahren erfolgreicher Galerietätigkeit ist jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass Gabriele Wimmer und John Sailer dieses Auge für die Kunst haben.
© Andrea Schurian, November 2024
|