
„Seit vielen Jahren bin ich fasziniert vom ‚Winzigen‘, von kleinen Zeichen, die sich zu weiten Feldern ‚möglicher‘ Interpretationen auswachsen.“ Alice Atties Beschreibung ihrer Buntstift- und Tuschezeichnungen führt uns in ihre faszinierenden Bildwelten, die sie aus „winzigen“ Formen, Chiffren, Buchstaben und Zahlen entstehen lässt. Das außergewöhnliche zeichnerische Werk von Alice Attie zeigt die Galerie in der zweiten Einzelausstellung der New Yorker Künstlerin unter dem Titel Repetitions.
Wiederholung bildet das Leitmotiv, das die Arbeiten Atties kennzeichnet und welches sich erst bei näherer Betrachtung offenbart. Zunächst blickt man auf Papiere, deren Bildräume zur Gänze von zeichnerischen Strukturen bedeckt sind. Wie ein fein gewebtes Netz legen sie sich über die Bildoberfläche, unregelmäßige Verdichtungen schaffen Bewegung und Lebendigkeit. Der genaue Blick lässt die vielen aneinandergefügten kleinen Zeichen und Formen erkennen, die die Gesamtheit des Bildes ausmachen. Sie werden durch Atties wiederholenden Gestus nebeneinander gereiht, ineinandergefügt oder übereinander gelegt. In dieser Zusammensetzung gestalten sie je nach Perspektive eine Erzählung mit unterschiedlichen Lesbarkeiten.
Wie etwa in den Arbeiten der Werkgruppe Vibrations. Mit feinem, präzisem Strich fährt Attie auf und ab und erzeugt wellenförmige Linien, die sie horizontal über das Papier führt. Es entsteht ein Gefüge aus ungleichmäßigen Strichen, das aus der Ferne betrachtet eine Einheit ergibt, in die sich Spannung, Bewegtheit und Rhythmik einschreiben. Attie schafft so das Erlebnis einer absoluten Präsenz, die uns in den Bann zieht. Die Zeichnungen sind für die Künstlerin das Ergebnis ihrer Arbeit mit und durch Musik. Häufig sind es Beethovens Streichquartette, die den Entstehungsprozess ihrer Werke begleiten. „Ich betrachte diese zeichnerischen Kompositionen als Erweiterung der Klänge, die ich höre, der außergewöhnlichen Schwingungen, die lyrisch und wellenförmig sind“.
Densities hingegen ist von starken gestischen Strichen charakterisiert, deren Linienführungen nicht mehr nachvollziehbar sind. Durch das Drehen und Wenden des Stiftes entstehen stellenweise dichte schwarze Tintenfelder mit wechselnden Graden von Opazität und Tiefe. Attie, die als Lyrikerin mehrere Gedichtbände veröffentlich hat, nimmt in der Abstraktion kalligraphische Züge wahr und ist von dem schmalen Grat fasziniert, der zwischen Schrift und Zeichnung unterscheidet. In Waves of Thought verbindet sie beides, indem sie Wörter in ihre Bildsprache einfügt. Es sind Gedankenfragmente, die Attie zu dichten Pfaden zusammenführt. Aus der Nähe betrachtet können sie entziffert werden, aus der Ferne hingegen bilden sie eine abstrakte Komposition.
Für Attie verdichten sich in ihren Arbeiten nicht nur Gesten der Wiederholung, sondern auch Spuren von Zeit: „Diese winzigen Zeichen sammeln sich über lange Zeiträume hinweg an und handeln oft von der Zeit selbst, von Zeit und Wiederholung, die beide nicht zu definieren sind und sich unmerklich vor unseren Augen bewegen.“

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