Krinzinger Projekte präsentiert die zweite Gruppenschau mit TeilnehmerInnen des Artist in
Residence Programms in Petömihályfa/Ungarn. Die Vorarbeiten zu diesem Programm begannen im
Herbst 2009, ab Frühjahr 2010 waren die ersten KünstlerInnen vor Ort, um sich in der Ruhe und
Abgelegenheit der Studios vollends auf ihre künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Während im ersten
Jahr der Fokus allein auf KünstlerInnen aus Österreich und Ungarn lag, wurde dieser 2011 mit
KünstlerInnen aus Bulgarien, Deutschland und Frankreich international erweitert. In der Ausstellung
werden nun die Arbeiten jener KünstlerInnen, die in den Jahren 2011 und 2012 am AiR-Programm
teilgenommen haben, zusammengeführt. Gezeigt wird ein spannender Überblick über den
künstlerischen Output als Zusammenspiel von Zeichnung, Video, Fotographie, Objekte sowie
Installation.
Die AiR-Studios liegen in der idyllischen Kulturlandschaft Westungarns. Weitab der städtischen Hektik
und deren Ablenkungen wurde ein Raum für konzentriertes künstlerisches Arbeiten geschaffen. Die
natürliche Umgebung bestimmt hier großteils den Rhythmus des Residency-Alltags und bietet die
Möglichkeit zu einem reduzierten Leben. Die Studios der Galerie Krinzinger in Petömihályfa sind ein
Ort der Begegnung für junge europäische KünstlerInnen. Hierbei wird großen Wert auf die kulturelle,
sowie künstlerische Zusammenarbeit ungarischer und österreichischer KünstlerInnen gelegt. Die
Förderung und Belebung des Austausches internationaler zeitgenössischer KünstlerInnen steht an
vorderster Stelle, aber auch die Vernetzung mit einem kunstinteressierten Publikum ist ein wichtiges
Anliegen. Deswegen werden regelmäßig Studiovisits organisiert, bei welchen die einzelnen Positionen
vor Ort präsentiert werden.
Teilnehmde KünstlerInnen 2011:
Steffi Alte zeigt eine Reihe von Modellen eines Pavillons, die sie anlässlich des Wettbewerbs Kunst
im öffentlichen Raum Niederösterreich / Karlstetten (Pavillon) 2011/2012 entwickelte. Alte treibt ein
Spiel mit Ironie und Dilettantismus, indem sie arme Materialen wie Schaumstoff, Plexiglas und Holz
verwendet und ihre Modelle somit als ideale Architekturvorlagen ad absurdum führt: “Nachdem ich
dann aber gefunden habe, dass die Form allein sehr auf das Göttliche hinausläuft, das Modell des
Schönen der Wahrheit (nicht dem Modell als Modell der Modellhaftigkeit oder der Form als Modell der
Modellhaftigkeit), habe ich mich doch lieber dem Science-Fiction zugewendet.“ (Steffi Alte)
Im Hinblick auf eine Traumgeschichte entstanden die konzeptionellen Arbeiten von Nicola
Brunnhuber. Sie stellen eine künstlerische Art der Bewältigung dar. Brunnhuber verbindet die
Elemente Holz und Glas miteinander, indem er eine Holzkasten-Konstruktion als Hintergrund für
mehrere aufeinander gelegte Glasplatten verwendet. Die Willkürlichkeit der übereinander gelegten
Glasplatten steht im direkten Kontrast zu den detaillierten und genau ausgeführten Holzkon
struktion.
István Csákány konstruiert mit seinen Arbeiten Geschichten, die die konfliktreiche Beziehung
zwischen Politik und Kunst im nachsozialistischen Ungarn verbildlichen. Themen wie der Umgang mit
der Zeitgeschichte und ihrem Erbe sowie der Relevanz der Bewertung von Vergangenheit liegen dem
zugrunde. In der Ausstellung präsentiert er eine Nähstube aus Holz, bis ins kleinste Detail manuell
geschnitzt und abgeschliffen, in der er Massenproduktion (Näherei) mit traditioneller Handwerkskunst
(Schreinerei) gegenüberstellt und so gleichermaßen Themen wie soziale Utopie, Arbeiterästhetik und
ökonomische Mängel in seine Arbeit einschreibt. Die in Ungarn konzipierte Nähstube liefert das Modell
zu der großformatigen Installation Sewing Room, die Csákány bei der diesjährigen dOCUMENTA (13)
präsentiert hat.
Steven Guermeur konzentriert sich in seinen Arbeiten auf die verschiedenen Arten der Präsentation
von Kunst, etwa an einer weißen Wand, auf einem Podest oder in einem Rahmen. Gleichzeitig
nehmen seine Arbeiten Bezug auf die verschiedenen Kontexte, in denen Kunst entsteht und gezeigt
wird, beispielsweise in der Galerie, einer Residency oder einer Ausstellung. Guermeur benutzt simple
Methoden der Kunstproduktion, die er mit kleinen Verschiebungen ins Ironische kippen lässt. Die
Erwartungen des Betrachters werden gleichermaßen hinterfragt wie der Künstler Geschichten über
den Kunstkontext und der Unmöglichkeit diesem zu entfliehen erzählt.
Mit BLOOM reflektieren Markus Hanakam & Roswitha Schuller über Mittel der Bildproduktion der
Medien Fotografie und Film. Die Suche nach dem modernen Blick, der sich über die verschiedenen
optischen Apparaturen bereits vor der Entwicklung der Fotokamera zu manifestieren beginnt, wird mit
Hilfe von teils absurden Apparaten und Objekten, bis hin zu Land-Art ähnlichen Installationen,
rekonstruiert. Eine Textcollage, basierend auf John Ruskins „Poetry of Architecture“, einem der
wesentlichen Texte der Landschaftstheorie des 19. Jahrhunderts, bildet als Voice Over eine weitere
Ebene aus. Die Szene zeigt abwechselnd Arbeitsräume, Utensilien und Landschaftsbilder und lässt
eine Atmosphäre des Pittoresken entstehen, die gleichzeitig wieder dekonstruiert wird.
Die Projekte von Kamen Stoyanov gehen von der Frage des Vermögens der Kunst aus eine konkrete
Perspektive zu schaffen, mit der das Verhältnis von Ego und Welt beobachtet werden kann. Der
Unterschied zwischen Landschaft/Bild und Landschaft/Nutzraum wird vom Künstler analysiert, um
kulturelle Dynamiken, die eine bestimmte lokale Gegend charakterisieren, aufzubrechen und mögliche
Veränderungen erfahrbar zu machen. Auf zwei Fotografien ist der Künstler neben einem alten VWAuto
abgebildet, auf dessen Motorhaube ein stilisierter Tiger bzw. eine Abbildung eines Joghurts
appliziert wurde. Stoyanovs Frage nach dem Inhalt – Abbild oder Konzept – kann bereits als
Kunstwerk betrachtet werden, ebenso wie die Frage wer als Künstler gilt: die Person, die die Idee
hatte, oder die, die sie umsetzte? In seinem Video dokumentiert Stoyanov seinen Aufenthalt in Ungarn
mit dem Ziel aufzuzeigen, dass ein Kunstwerk aus verschiedenen Perspektiven begriffen werden
kann.
Vieler der früheren Arbeiten von Tamás T. Kaszás setzen sich mit dem Modernismus eines
Russischen Konstruktivismus, eines Bauhaus oder eines De Stijl auseinander. Diese Avantgarde-
Bewegungen verfolgten das Ziel die Gesellschaft mit Hilfe eines ästhetischen Wandels zu verändern.
In seinem Projekt Animal Farm führt Kaszás diese Idee weiter, indem er diese sozialen
Fragestellungen in den tierischen Bereich verlegt. Dass durch den Beginn des Holzhandels bereits
viele Vogelarten verschwunden und aufgrund der fehlenden Bebaumung keine geeigneten Plätze
mehr zum Nestbau finden, liefert die Grundlage für die Umsetzung dieser Idee in Vogelhäuser. Diese
Arbeit basiert auf diesen wissenschaftlichen Aspekten, gleichzeitig spielen die Vogelhäuser mit den
Formen der Moderne.
Teilnehmende KünstlerInnen 2012:
Adi Matei verweist in seiner Videoarbeit auf die Schnelligkeit und die Schwierigkeit der Reduktion von
Bewegung in der heutigen Zeit. In einer einzigen Einstellung dargestellt, bewegt sich ein fliegender
Vogel trotz seines Fluges nicht von der Stelle. Eingefangen in einem Raum, der durch seine getäfelten
Wände an historische Inneneinrichtungen erinnert, wirkt er wie ein Studienobjekt in einem
Kuriositätenkabinett. Durch die Fenster des Raumes sieht der Betrachter die Wolken vorbeiziehen.
Die entschleunigte Bildbewegung im Inneren und die außen zügig vorbeiziehenden Wolken
vergrößern die Diskrepanz zwischen den beiden Realitäten, die sich eigentlich in derselben
perspektivischen Einstellung befinden. Matei thematisiert damit einen Zustand möglicher Bewegung,
der seiner Videoarbeit einen beruhigenden und rhythmischen Unterton verleiht.
Bernd Oppl setzt sich in seinen Arbeiten mit Fragen der Wahrnehmung auseinander, mit physischen
und medialen Räumen und den Wahrnehmungsordnungen, die diese Räume produzieren. Ein
Architekturmodell dient als Kulisse seiner Videoarbeit Sick Building, die den Betrachter in einem
Schwenk durch den Innenraum führt. Indem Oppl eine zähflüssige, bio-organische Substanz über das
rotierende Modell fließen lässt, wird der Eindruck erweckt, als würde diese Substanz langsam vom
Boden zur Decke wachsen, obwohl sie durch die Rotation des Modells nur augenscheinlich der
Schwerkraft entgegenwirkt. Durch die Übertragung eines Mediums in ein anderes und einer daraus
resultierenden Verzerrung und Abstraktion, entsteht ein Moment der Irritation, das neue assoziative
Zusammenhänge zulässt. Die gezeigte Fotoserie untitled ist ein subjektives Architekturporträt des
Wohnhauses und des Studios in Ungarn und versucht verschiedene Perspektiven in einem Bild zu
verdichten. Im Verfahren der analogen Mehrfachbelichtung sind Details des Hauses aus
verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen und zu einem Bild in der Kamera kollagiert.
Wendelin Pressl zerlegt in seinen Arbeiten die Realität in einzelne Partikel, um diese dann auf
individuelle Weise wieder zusammenzufügen, assoziationsreich zu kombinieren und dadurch
Umdeutungen beziehungsweise neue Bedeutungen zu generieren. Seine ,,Naturstudie“ umfasst die
Themen der Zergliederung, Rekomposition, Transformation und Neudefinition. In seinen
Papierarbeiten befasst er sich mit dem nächtlichen Himmel über Petömihalyfa, dem einzigen
Orientierungspunkt in der Fremde, indem er ihn versuchsweise kartografiert. Zerbeulte Getränkedosen
zeugen trotz der Abgelegenheit des Studios von Zivilisation. Als space junk betrachtet gehen sie eine
symbiotische Beziehung mit Pressls kartografiertem Universum ein.
Die kleinformatigen Polaroid-Arbeiten von Anja Ronacher befassen sich mit der Köperlichkeit und der
Oberfläche von Zuständen. Das bewegte Beiwerk, etwa das Blattwerk des Waldes rund um das
Studio, wirkt nach Aby Warburg als Ausdrucksmittel einer „inneren Unruhe“. Der flüchtige Augenblick
ist einmalig, er wirkt in der Fotografie jedoch als dessen geisterhaftes Nachleben, als dessen
Wiederholung. Das Unzeitgemäße erweist sich als wichtig, da hier das Potential dafür liegt,
Ausdrucksmittel für das Nachleben der Formensprache in der Geschichte zu sein. Durch das
Fotografieren wird das Bild versteinert, fossiliert. Indem Wind im bewegten Blattwerk festgehalten ist,
verleibt sich die Zeit in das fotografische Bild ein.
In den Zeichnungen von Stela Vasileva werden Menschen, Gruppen und Szenen gezeigt, die sie in
Wien und Ungarn beobachtet hat: Szenarien des Urbanen treffen auf die Umgebung des Ländlichen.
Vasileva verarbeitet in ihren Zeichnungen ihre subjektiven Eindrücke und Stimmungen dieser beiden
Lebensräume. Die dargestellten Menschen sind aus ihren gewohnten gelöst und auf rein weißem
Hintergrund dargestellt, wodurch eine Art Identitätslosigkeit dieser Gruppen entsteht.
Die Objektarbeit des Künstlerduos Little Warsaw bezieht sich trotz ihrer Abstraktheit auf die
klassische Bildhauerei, indem sie sich experimentell mit dem Objektcharakter verschiedener
Gegenstände beschäftigen. Der präsentierte Gips-Abdruck eines Motorrad-Helms wird zu einem
Zeichen für Leere und Inhaltslosigkeit, als wäre der Helm nur auf Grund der fehlenden Anwesenheit
des Menschlichen existent. So werden Abdrücke wie auch Grenzen der individuellen Körperschaft
geformt, ohne jedoch auf die eigentliche Spur einer Person zurückzuführen. |