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Accrochage

Sepp Auer, Arnulf Rainer, Karl Schleinkofer, Gisela Stiegler

 GALERIE AM STEIN
 10.03. - 03.06.2023


Eröffnung :Freitag 10.3.2023, 16-20 Uhr



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Sepp Auer

Accrochage

Es gibt in der Musik das rare Phänomen der Quadrupelfuge: Einer Fuge mit vier verschiedenen Themen, wie sie beispielsweise im nur fragmentarisch überlieferten Schlussstück von Johann Sebastian Bachs Zyklus „Die Kunst der Fuge“ Form und Gestalt findet.
Ohne die Ähnlichkeiten zur Musik allzu sehr strapazieren zu wollen, kann man doch konstatieren, dass in der Ausstellung „Acchrochage“ Elemente einer solchen ins visuelle übersetzten Quadrupelfugen-Struktur erkennbar sind: Es geht um vier künstlerische Positionen aus unterschiedlichen ästhetischen Mikrokosmen, die räumlich und konzeptuell auf eine Weise in Beziehung gesetzt sind, dass Resonanzen, Konsonanzen, gelegentlich aber auch konstruktive Dissonanzen hergestellt werden.

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Arnulf Rainer

Die Blickachsen sind so gestaltet, dass man immer unterschiedliche Arbeiten der Künstler respective der Künstlerin im Sichtfeld hat und sich darüberhinaus unterschiedliche Zeitschichten palimpsestartig übereinander lagern. Auf diese Weise ergibt sich ein komplexes Geflecht, das visuelle Impulse und temporale Aufspreitzungen  miteinander ´verfugt` und aus der dadurch entstehenden Reibungshitze künstlerischen Mehrwert, man könnte auch sagen: ästhetische Multiplizitäten, entstehen lässt. Das kann auf der Materialebene spielen, wenn beispielsweise die ´soften` Werkstoffe Polystyrol und Gummiacryl von Gisela Stiegler mit den ´harten` Materialien Eisen und Stahl von Sepp Auer kontrastieren. Das kann sich aber auch auf die technisch-ästhetische Approximation einer künstlerischen Zielvorstellung beziehen: So verweisen die obsessiven Strichelbilder von Karl Schleinkofer mit ihren Synkopen, Verdichtungen, Durchlässigkeiten und dynamisierten Kraftlinien auf die seit den 1950er Jahren praktizierten Übermalungen von Arnulf Rainer, die hier mit zwei gelb getönten ´Face Farces` aus dem Jahr 1975 vertreten sind. Rainer wiederum wird mit unterschiedlichen Manifestationen seiner eigenen Persönlichkeit konfrontiert, wenn Übermalungen in einer kreuzförmigen Hängung auf neuere Arbeiten treffen, die breit gepinselte reduzierte Geometrien zu archaisch-schwarzen Piktogrammen serialisieren. Aber auch die Kunst des Zitats spielt in unterschiedlichen Anwendungen eine Rolle: Gisela Stiegler zitiert antike Säulenstrukturen und variiert sie mit Rundformen, die in poppigen Farben leuchten.

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Karl Schleinkofer

Sepp Auer wiederum konfrontiert Leinwände mit Metallstäben, deren Anordnung dem minimalistischen Formenrepertoire entlehnt ist.
All dies wird durch die Inszenierung im Galerieraum zu einem Theater der Exuberanz, das Formen und Farben, Zeiten und künstlerische Handschriften, je nach Sichtweise, zur Explosion oder zur Implosion bringt. Die postmoderne Antwort auf die Moderne, hat Umberto Eco geschrieben, bestehe darin, „dass die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefasst werden muss: mit Ironie, ohne Unschuld.“ 1)

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Gisela Stiegler

Und zwar nicht nur die gesamtgesellschaftliche Vergangenheit, sondern auch die, der in der Ausstellung ´Acchrochage` vertretenen Künstler*innen. Wenn man die ältere Arbeit von Karl Schleinkofer aus dem Jahr 1984 mit den aktuellen Kleinformaten aus 2022 vergleicht, so fällt auf, dass sich der Weißraum rund um die Strichelzeichnungen ausgedehnt hat und somit Sein und Nichts in ein neues Verhältnis gesetzt werden. Ob dies nur eine Momentaufnahme ist oder einen Entwicklungsprozess dokumentiert, ist letztlich von geringer Relevanz. Es geht darum, an gewissen, eher aleatorisch gewählten Zeitknotenpunkten Arbeitsproben zu nehmen und diese biographisch, ästhetisch und im Sinne der kunsthistorischen Entwicklung abzugleichen. So entsteht ein Moment von unendlicher Dauer, der Entwicklungen, Veränderungen, aber auch Kontinuitäten in einem, das gesamte Ausstellungsgeschehen überwölbenden Freezeframe dokumentiert. Zitate, abgelegte künstlerische Häute, ironisches Spiel der eigenen Vergangenheit und der künstlerischen Geschichte schaffen neue Bedeutungsschichten und bringen zusätzliche Zeitdimensionen ins Spiel, die nicht nur
die individuelle ästhetische Tradition zelebrieren, sondern, im Akt der Vergegenwärtigung auch die Zukunft ansteuern.

Thomas Miessgang

1) Umberto Eco: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, in: Wege aus der Moderne, hg. von Wolfgang Welsch, Weinheim 1988, S. 76