Himmelsturz und Hölle, Fotografien von Brigitte Mayer
Daß ihre Bilder neugierig machen, wie ein Rezensent versichert,
ist eine irritierende Feststellung. Ich kann nur von mir reden.
Das erste mall sah ich sie auf einer Fahrt nach Wien im Januar 1992.
Zwischenstation Regensburg, nachts halb drei. In einer nicht nur
von Gott verlassenen Kneupe ist ein letztes Bier zu haben, in der
Ecke ein verlassener Gast, der aus seinem Rausch an den Nachbartisch
kommt. Erschrecken, Erkennen: Er entpuppt sich als Klassenkammerad
der Fotografin, die, leichtsinnig, ihre Bilder über den Tisch
gebreitet hat, ich sollte sie eben sehen. Die Bilder haben sich,
entschuldigen sie das ergriffene Wort, eingebrannt: Abzüge
oder Kopien ihrer ersten Sammlung "Perfect Sister" in
Schwarzweiß. Neugierig bin ich danach nicht geworden, verstört
beim Blick und der Erinnerung an diesen ersten Eindruck, noch immer
Portraitts und Selbstportrais aus der Bewegung gerissen, Menschen
/ Leibed, mit wenig mehr als den Attributen ihres Geschlechts bekleidet,
wobei Waffen, Versatzstücke aus einem, unseren Kulturkreis,
der uns zu Mitwissenden zwingt. Es hatte, hat mit der Perfektion
zu tun: das Arrangements, der Farbgebung, des Lichts. Der Brutalität
der gesicherter Begriff der Psychiatrie. Er schlägt sich in
ihren aktuellen Bildern nieder, schlägt bildgeworden auf die
nachkten, zu teig arrangierten Körper. Wo sie aufzustehen versuchen,
setzt die Fotografie den Schnitt ins Bild wie einen Bruch. Die Häufung
der Posen, die Hierarchie der Generationen gegeneinander, Stadien
des Verfalls von Geburt (der Säugling, der sich in den Boden,
der ihn ausgeworfen hat zurückzubohren scheint) bis todesnah
(die oberste Parze, gelassen auf der Treppenstufe sitzend, sie sieht
den vergeblich klimmenden, jetzt ruhenden Geschlechtsgleichen zu),
ist weniger Willkür als Erfahrung geschuldet.
Torso ist, nach Walter Benjamin, erst der Beginn der Rezeption.
"Nur wer die eigene Vergangenheit als Ausgeburt des Zwanges
und der not zu betrachten wüsste, der wäre fähig,
sie in jeder Gegenwart vergleichbar, der auf Transporten alle Glieder
abgeschlagen wurden, und die nun nichts als den kostbaren Block
abgibt, aus dem er das Bild seiner Zukunft zu hauen hat". Brigitte
Mayer, so steht zu befürchten, besitzt diese Fähigkeit.
Ihre Bilder machen neugierig, wenn ich wüßte worauf ...
Daß ich es nicht weiß, und ich bin froh, dass nicht,
macht die Unruhe dieser zu Ruhe geronnen Bilder aus. Ruhe vor etwas,
das kommt, Ruhe dazwischen. Etwas muss geschehen sein, nichts Gutes,
wie den Leibern, die ihr Gliedmaßen mit Mühe beieinander
halten können, auszusehen ist. Im Genlabor könnte die
Zukunft so aussehen. Brigitte Mayers Bilder beschreiben eine Schlacht,
die zwischen Traum und Albtraum zu verorten ist. Vor - Bilder sind
deutlich auszumachen, sie zu nenen soll denen vorbehalten sein,
die sie im ARsenal der bildenden Kunst, in Illustration zum Neuen
/ Alten Testamtent, zur Tragödie des Aischylos und zur Komödie
Dantes wiederfinden. In Rot- und Blau- Variationen belichtet sie
Arrangements, die sie and den Planken der Wirklcihkeit vor der kommendne
Flut totaler Reproduzierbarkeit inszeniert ... Vielleicht sind solche
Bilder nötig unsere Warhnung die in Gefahr ist, reproduzierbar
zu werden, gegen die Flut in Brand zu setzen. Herostratos ist der
erste Künstler der Moderne.
Thomas Martin
Brigitte Mayer, geb. 1965 in Regensburg, Ausbildung Hochschule
für visuelle Kommunikation in Kassel mit Schwerpunkt Fotografie
und Performance, seit 1990 freischaffende Künstlerin in Berlin.
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