Die Arbeit von Urs Lüthi bewegt
sich in spiralförmiger Aufwärtsbewegung, sie kreist dabei
um ein zentrales Thema, in dessen Mittelpunkt der Künstler
selbst steht, und nähert sich dabei immer bedrohlicher und
drängender den tatsächlichen Niederungen einer "glücklichen" Spaßgesellschaft,
auch wenn die Bilder des Gewöhnlichen häufig unwirklich
erscheinen mögen. Begonnen hatte diese Auseinandersetzung
zwischen dem potentiellen Betrachter und Urs Lüthi mit Bildideen
wie "I´ll be your mirror" von 1972, einem Bild,
das Lüthi als Zitat und Erinnerungsstück aus der eigenen
Geschichte aufgreift. Zwei Jahre früher noch war die Fotoarbeit "Lüthi
weint auch für Sie" entstanden. Mit diesen Selbstbildnissen,
die trotz ihres verführerischen Anscheins kaum Berührungspunkte
mit rein narzisstischer Selbstspiegelung haben, leitet Urs Lüthi
eine Auseinandersetzung mit seinem allgegenwärtigen Gegenüber
ein, dem alltäglichen, das er nicht als etwas Fremdes sieht,
sondern das er zu seiner Welt macht. Er kündigt in den ersten
Arbeiten bereits an, welche Funktion er als Künstler in der
Gesellschaft einzunehmen gedenkt: Spiegel für jedermann zu
sein. Indem er sich dazu bekennt, auch die notwendig anfallende
Trauerarbeit zu übernehmen, eröffnet er einen fast ungehemmten
und grenzenlosen Spielraum für seine Bilder. Lüthi stellt
uns also nicht nur sein Bildnis zu Verfügung; er schlüpft
und wächst in die unterschiedlichen Rollen, zum Beispiel als
Frau unter anderem in der Fotosequenz "The numbergirl" von
1973; dann wiederum versteckt er sich hinter dem Profil eines anderen, ähnlich
aussehenden Menschen in "My face behind Eckys face" von
1974; ist mal jung und schlank, dann älter und fett. Er fordert
uns auf "Treat me like a stranger", um so Neugierde
sowie Ablehnung des Fremden auf sich zu lenken. Lüthi leiht
uns sein sich wandelndes Aussehen wie eine Gestalt aus der griechischen
Mythologie. Nach dieser hatte der Gott Protheus die Fähigkeit,
in nahezu jede Gestalt zu schlüpfen, sich ständig zu
wandeln und damit unfassbar zu sein. Urs Lüthi will aber genau
das Gegenteil. Er will ja unser Spiegel sein und auch für
uns weinen; das heißt, er will sich nicht durch Täuschung
entziehen, sondern durch seine Präsenz das zeigen, was wir
in Wirklichkeit sind und was wir nicht akzeptieren können.
Helmut Friedel, I´ll be your mirror.
In: Urs Lüthi,
Run for your life. Mchn.,
Lenbachhaus, 2000 |
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