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Arnulf Rainer

Arnulf Rainer feiert im Jahr 2009 seinen 80. Geburtstag


Galerie Ulysses
 06.05. - 03.10.2009

Vernissage: am Dienstag, den 05. Mai 2009, um 19:00 Uhr
Eröffnung durch den Direktor der Albertina: Dr. KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER


ARNULF  RAINER
ATTACKIERENDE STRICHBÜNDEL – SANFTE FARBSCHLEIER

Strichbündel als dominante Zeichen
»Kreuze, Diagonalen, Kelche, Vertikalen, Wirbel, Bogen etc. Ich habe sie langsam satt. Wünsche sie nicht, muss sie aber benutzen in der gestaltungsstrategischen Hoffnung, dass sie Übergangsformen, Rettungsanker auf der Suche nach besserem, festem Boden sind.« Schreibt Rainer 1982.
Diese Formationen sind mehr als nur Übergangsformen und Kompromisslösungen. Sie definieren eine essenzielle Konstante im so mannigfaltigen Werk des Künstlers. Sie sind zu Rainers Zeichen für Intensität, Aggressivität, energetische Aufladung, Sprengkraft, grafische Dichte und dunkle Tiefe geworden. Diese indexikalischen Zeichen sind keine Statthalter für Narrativität, Motivik oder Resultate eines Abstraktionsprozesses; sie sind selbstreferenziell, aber keineswegs unzugänglich oder schweigsam. Wie ein großer Knall, ein aufbrausender Sturm machen sie sich bemerkbar und attackieren uns. Das ist die ureigene Kraft, die vom schöpferischen intuitiven Gestus ausgeht und sich in eine Form, in ein Zeichen verwandelt. Man denke – neben Arnulf Rainers Strichbündel – besonders an Franz Klines schwarze tektonische Balken, an Willem de Koonings flüssig delikate Pinselstriche, an Pierre Soulages vornehme braun schimmernde Streifen-Kompositionen, an Cy Twomblys kritzelig-drahtige Farbknäuel.
In den 1990er Jahren erleben diese Zeichen bei Rainer eine Renaissance als bestimmende gestalterische Form im Bildgeviert. Meist bearbeitet er den Bildgrund mit den blanken Händen, trägt die Farbpaste in heftigen Hieben auf, die sich zu einem dunklen gebogenen Bündel formiert.
Hinzu kommt oft der direkte Handabdruck als klar ausgewiesener Index der körperlichen Präsenz im Arbeitsprozess. »Als ich einmal bei einem Großfoto über die Wangen malte, brach mir im Malrausch der Pinsel. In der Hast versuchte ich es mit den Händen, schlug, drosch auf die Wange und war fasziniert von der Ohrfeigerei, von den Spuren meiner Handschläge. Ich beschloss, das zu verselbständigen.« Arnulf Rainer attackiert mit seinen Händen den Bildträger, markiert mit rohen Prankenhieben die harten Holzplatten am Rande seiner körperlichen Belastbarkeit. Es sind psychophysische Ausdrucksgesten in der reinsten Form, die keine malerische Übersetzung mittels Malwerkzeug benötigen. Anstelle der klassischen ikonischen, kompositorischen oder formalen Parameter der Malerei tritt die reine Spur, der aktionistische körperliche Abdruck.
In anderen Werkbeispielen mit tiefschwarzen Bögen arbeitet Rainer mit Pinsel und Stift. Das oft in der vertikalen Achse positionierte Zeichen des intensiven Mal- und Zeichenvorgangs penetriert zum einen den Betrachterraum, zum anderen öffnete es wie ein Tiefensog die Bildsphäre. Dieses Phänomen ist bereits in Rainers Vertikalgestaltungen der frühen 1950er Jahre anzutreffen. Die grafischen Spuren als prozessuales Resultat der expression pure zerreißen regelrecht die Flächigkeit des Bildträgers und führen uns in die Untiefen des Seins, in einer abstrakten Weise abgeleitet von den Ozeanen des Unterbewussten, die der Künstler in seinem neosurrealistischen Frühwerk geschaffen hat. Wenn auch die vertikale Form keine anthropomorphe Motivik zeigt, sondern nur auf sich selbst verweist, so ist sie als dezidiertes Gegenüber ausgewiesen. Aus dem Abdruck und der Spur hat sich eine abstrakte Gestalt herauskristallisiert, die geradezu autoritär, hieratisch die Bildrezeption bestimmt. Der Künstler verliert sich im Malvorgang nicht in der Weite des Farbfelds, sondern ist stets mit dieser präsenten Widerständigkeit des Gegenübers konfrontiert. Ein andauernder intensiver Dialog mit der Malerei, die als organisches Äquivalent des Menschen in Erscheinung tritt. Kaum nehmen Rainers Tafelbilder übergroße Maße an, sie sind stets nach der menschlichen Körpergröße ausgerichtet, in denen sich Rainer »einschreiben« kann: ob traditionelles rechteckiges Staffeleibild oder Kreuzform. Aus den vertikalen Strichbündeln hat Arnulf Rainer so manche Kreuzformationen entwickelt. Auch hier fungiert der Kreuzesstamm als hieratisch autoritäre Instanz gegenüber dem Betrachter, als anbetungswürdiges Zeichen des Opfertodes Christi.
In den Bögen, und Stämmen, die neben ihrer senkrechten und waagrechten Ausrichtung auch Diagonalen beschreiben, ist Energie, Raserei und Intensität gespeichert. In den 1960er Jahren entstehen zahlreiche Kurven in grellen irisierenden Farbwerten, die im Rausch durch LSD oder Mescalin hervorgerufen worden sind. Ihre energetische Kraft hat der Künstler in der Folge für zahlreiche Überzeichnungen von fotografischen Vorlagen eingesetzt, etwa bei den Selbstporträts, den Face Farces um 1970. Hier tritt der gebündelte starke Strich als Vehikel zur psychophysischen Intensivierung des Expressiven auf: zur grafischen Akzentuierung der Gebärde. In zahlreichen En-face-Fotografien der Selbstporträts setzt Rainer ein keilartiges Strichbündel als vertikale Achse auf die Zone von Stirn, Nase, Mund und Kinn.

Helle Farbschleier
Mit sanftem körperlichem Einsatz wischt Rainer die Farbe zart in leicht wogenden Bögen auf den Bildträger. Sowohl die Offenheit des Pinselstrichs als auch das selbstverständliche Fließen-Lassen der Farbe bilden einen transparenten, leuchtenden Schleier, der das Dahinter preisgibt. Oft dominiert eine einzige Farbe. Die gezogenen Fährten definieren ein ausgewogenes kompositorisches Konstrukt von Verkreuzungen, Konkav- und Konvexschwüngen – die Stabilität und Kompaktheit der Bildsituation unterstützend. Die unbehandelten Stellen fungieren als verstärkte Lichtzonen und intensivieren den hellen, eleganten, schimmernden Charakter. Mit diesem »sanften Stil«, den der Künstler ab Mitte der 1990er Jahre verstärkt einsetzt, wendet sich Rainer vom bisherigen Primat der Dichte und Fülle seiner Übermalungen und Zumalungen ab. Schon bereits in seinem surrealistisch orientierten Frühwerk von 1949/50 forciert Rainer die vorgegebene Fläche zu verdichten, mit Zeichen aus dem Unbewussten, der dunklen Tiefe, aus dem Abgründigen zu füllen und dem satten Schwarz die Vorherrschaft zu verleihen. Ein stetiger Drang und die manische Einstellung treiben den Künstler zur Überwindung des horror vacui. In den ab 1953/54 entstandenen Zumalungen herrscht eine dichte, satte, beinahe an die faktischen Bildgrenzen auslaufende Malschichte vor, die das Darunter – ob eigene Arbeit oder fremdes Bild – nicht mehr preisgibt, geprägt von der Verbesserungswut des Künstlers, wieder und wieder die aktuellste Malschichte zu vernichten und auszulöschen, um sie in ihrer Qualität zu steigern. Daraus resultiert eine Vielzahl von in sich gestärkten, mit purer Malerei gesättigten Tafelbildern, die Rainers Perfektionismus in der »konstruktiven Destruktion« widerspiegeln. Diese opake sedimentierte Dichte, diese intensive Versiegelung der Oberfläche hat nun Rainer aufgebrochen und Licht einströmen lassen. Von der schwarzen Nacht und der dunklen Ozeantiefe hat sich der Maler abgewendet. Licht als Transformation von gemalten Farbschleiern und pulsierenden Vorhängen prägen seine neuen Bildkreationen. Räumlichkeit wird sichtbar, wenngleich diese auf sich selbst bezogen ist und nicht von einem realen örtlichen Gefüge abgeleitet wird. Ein optisch illusionistisches Flirren und Funkeln tritt in Kraft. Obwohl der Bildträger sich meist aus Karton auf Holz zusammensetzt, wirken die gemalten Zonen, als ob sie von ihrem Grund aufgesogen werden würden, ähnlich dem saugfähigen Gewebe der Leinwand. Die nun ausschließlich verwendete Leimfarbe konstituiert sich nicht mehr als Materie, wie in den älteren Ölbildern, sondern wird eins mit ihrem Träger, zum Beispiel vergleichbar mit den Veils von Morris Louis, die sich als polychrome abstrakte Vorhänge definieren.
Die Schönheit der Farbwerte an sich steht mehr als je zuvor im Zentrum von Rainers malerischer Auseinandersetzung. Die Pracht des Kolorits scheint der Maler früher – besonders in den 1950er und 1960er Jahren – allzu verführerisch und effekthascherisch gewesen zu sein. Das dunkle, satte Schwarz dominiert. Die Auslöschung des Sichtbaren, des Motivs, des traditionellen Abbildes führt jedoch wiederum zu einer Malerei, die ihr Eigenstes sichtbar macht. Buntfarbigkeit fungiert damals ausschließlich als Akzent des Aggressiven und Expressiven, ob in den kreischend psychedelischen Farbwerten der neosurrealen Fratzen-Bilder der späten 1960er Jahre oder in den Fingermalereien der 1970er und 1980er Jahre. Die Farbe Rot setzt der Künstler früher oft in Verbindung mit Blut, der Wunde, der Qual und dem Opfertod Christi ein. Nun hat Rainer zur Farbenpracht gefunden und bekennt sich zu ihr. Opulente farbintensive Gemälde sind die Folge, die sich selbst genügen und gefallen. Selbstverständliche ästhetische Würfe der reinen Malerei entstehen, voller koloristischer Eleganz, befreit vom Dornigen, von der rasenden Intensität, dem Tiefenrausch der stummen, dunklen Malerei, der Verinnerlichung der »gotischen Schwere«.
In den Werken jüngeren Datums setzt Arnulf Rainer vermehrt auf die Farbenpracht des Mediums der Fotografie und seiner verführerischen Qualitäten durch Unschärfeeffekte. Rainer fotografiert die Sujets selber: Landschaften wie etwa von Teneriffa, Fotovorlagen von Frauenporträts aus dem Filmgenre der 1930er Jahre u.a. werden mit Farbfilter behandelt und in ein atmosphärisches Farben schimmerndes Sfumato eingetaucht. »Na ja, das ist so eine Malerfotografie, d.h. es wird sehr viel mit Farbflecken gearbeitet. Ich muss die Farbflecken hineinzaubern.« Die darüber gemalten und geschütteten Farbzonen verschleiern die verklärte Erscheinung der Bildmotive. Hier nähert sich die Fotografie dem Piktorialistischen an , hat einen romantisch-mystischen Wert, im Unterschied zum faktischen, dokumentarischen Charakter von Rainers fotografischen Bildvorlagen der Face Farces, Totenmasken, Messerschmidt-Charakterköpfe, usw. Letztere liegen auf der selben Bedeutungsebene wie die Originalgrafiken oder Fotokopien, die Arnulf Rainers schier unfassbaren Fundus zum Übermalen bilden: »Die Fotografie spielt da nicht so eine Schlüsselrolle, sondern die Reproduktion von irgendetwas, das man herauskopiert und vergrößert.« Meist erfahren die Fotografien eine zusätzliche Behandlung. Rainer überarbeitet sie mit malerischen Überlagerungen, grafischen Korrekturen oder als parafotografische Reproduktion, stets als Zwiegespräch zwischen Künstler und Medium.

Florian Steininger

Arnulf Rainer 1982, in: Arnulf Rainer. abgrundtiefe . perspektiefe, hrsg. von Carl Aigner, Johannes Gachnang und Helmut Zambo, Ausst. Kat. Kunsthalle Krems, Wien-München 1997, S. 238.
Richard Shiff verwendet für die wuchtige Präsenz der gemalten oder gezeichneten Zeichen den akustischen Begriff »Thunderbolt« (Blitzeffekt oder Blitz und Donner), vgl. Richard Shiff, Materie denkt, in: Monet-Kandinsky-Rothko und die Folgen: Wege der abstrakten Malerei, hrsg. von Ingried Brugger und Florian Steininger, Ausst. Kat. Bank Austria Kunstforum, München-Berlin 2008, S. 22, 23.
Arnulf Rainer 1974, in: Arnulf Rainer. abgrundtiefe . perspektiefe, S. 178.
Diese Passage ist auszugsweise folgendem Aufsatz entnommen: Florian Steininger, Arnulf Rainer. Malerische Farbschleier, in: Arnulf Rainer. Neue Bilder 2000–2002, Ausst. Kat. Galerie Ulysses, Wien, 2003, o.S.
Vgl. Werner Hofmann, Arnulf Rainers konstruktive Destruktion, hrsg. von der Kunsthalle Krems, Wien, 1997
Arnulf Rainer, in: »Ich muss die Farbflecken hineinzaubern ...« Carl Aigner im Gespräch mit Arnulf Rainer, in: Arnulf Rainer: Fotos maltrechas/Fehlfotografie, Ausst. Kat. Galerie Heike Curtze, Wien 2007, o.S.
vgl. den klassischen Piktorialismus von Cameron, Kühn, Stieglitz, Steichen, der sich um 1900 als impressionistische Fotografie etablierte und in der aktuellen monumentalen Fotografie seinen Widerhall gefunden hat, vor allem bei den Becher-Schülern Andreas Gursky, Thomas Ruff, Axel Hütte und Elger Esser.
Arnulf Rainer, in: Ebda.,o.S.