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Projektraum:
Sabine Boehl

Anfang und Ende immerfort dasselbe

  GALERIE nächst ST STEPHAN
 16.09. - 05.11.2005

Vernissage: am Donnerstag, dem 15. September 2005, um 19:00 Uhr
Einführung: Markus Mittringer


Die mit winzigen Glasperlen auf Leinwand applizierten Bilder der in Düsseldorf lebenden Künstlerin Sabine Boehl (geb. 1974 in Darmstadt) oszillieren zwischen Bild und Textur - wie in einem antiken Mythos beschworene Stoffe. Die sinnlich verführerisch und zugleich streng reguliert wirkenden Arbeiten der ehemaligen Meisterschülerin von Gerhard Merz verdanken sich einem Rückbezug auf die kunsthistorische Tradition der Ornamentik und Musterbildung ebenso wie der Verarbeitung modernistischer Kompositionsprinzipien wie Raster, Serialität und All Over. Die Engführung von Ornament und Abstraktion, von Fülle und Reduktion mündet bei Boehl in die Vorstellung vom Bild als semiotischem System: „Im Sinne des Mosaiks werden die Perlen verstanden als einzelne Farbinformationen, farbige Zeichen, die als Module der Arbeit dienen,“ führt die Künstlerin aus.

In einer elaborierten Mischung aus Sprödigkeit und Luxus zitieren Boehls Perlen-Arbeiten die überkommene Pracht einer noblen Textilkultur. Sie streifen nur am Rande die oftmals zur Überfülle tendierenden verzierten Stoffe orientalischer Provenienz ebenso wie die sophistische Ästhetik aktuell modischer Trends von Ethno-Chic und Glamour. Boehls Unikate entstehen in zeitaufwändiger Handarbeit. Wichtig bei der Produktion ist, den Eindruck maschineller Akuratesse zu vermeiden. Vielmehr geht es um eine Dichte der Füllung, durch die das reliefhafte Erscheinungsbild der Arbeiten generiert wird. Erst die Abweichung von handarbeitlich-regelhafter Gleichmäßigkeit, erst der freie, nahezu malerisch kursorische Umgang mit dem Farbmaterial erzeugen den Effekt eines hybriden Artefakts zwischen Bild, Relief und textilem Objekt.

Farbe, Form und Bedeutung werden in den Arbeiten von Sabine Boehl zu einer Aussage über aktuell verbleibende Möglichkeiten von Abstraktion verdichtet, wobei unterschiedlichste historische Traditionsstränge berücksichtigt und in den kostbar wirkenden Tüchern zur Synthese gebracht werden. In die zeitgenössischen Stoffe ist mit den Perlen ein dichtes Geflecht von historischen Bezügen eingenäht, das bei der Recherche nach Vorläufern abstrakter Bildzeichen ein enorm weites Spektrum eröffnet. Es reicht von der antiken Dekorum-Theorie bis zur Semiotik, von kosmologischen Ordnungssystemen bis zur Ornamentgrammatologie des 19. Jahrhunderts, von Alois Riegls Stilfragen bis zu der an Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologie orientierten Ornamenttheorie von Ernst H. Gombrich. Nicht zuletzt schließt Boehls prononciert vorgetragene Perlenstickerei an Strategien der Um- oder Aufwertung entlegener, folkloristisch, kunstgewerblich und geschlechtsspezifisch geprägter Techniken im Kontext der jüngeren Kunstgeschichte an.

In den neuesten Arbeiten greift Sabine Boehl auf Schmuckformen aus der arabisch-islamischen Kultur zurück. Wegen der gebotenen Vermeidung figurativer Darstellung handelt es sich bei den antiken islamischen Dekoren vielfach um Modifikationen antiker Ornamente wie Mäander, Akanthus oder Arabeske, die zu flächenfüllendem Rapport verarbeitet werden. Boehl nimmt den kunstvoll rhythmisierten Wechsel von Fließen und Innehalten der islamischen Dekore auf und formuliert daraus abstrakte Bilder. Der Transfer der antiken Ornamentik in die zeitgenössische Kunst vereint die forschende Sicht der tradierten Formkunde mit einem semiotischen Blick auf die Welt. Der durch das 18. und 19. Jahrhundert gefilterte Rückgriff auf die Antike leistet der Revitalisierung einer abstrakten Bildsprache jenseits von Formalismusdebatten und ideologischer Vereinnahmung Vorschub. Sabine Boehls Perlenarbeiten setzen an einer Neubewertung der Vormoderne an, in der „gegenständlich - abstrakt“ kein Gegensatz gewesen ist und Handwerklichkeit kein Tabu.

Doris Krystof, Köln, 2005