Subskription der Skulptur auch auf
der Kunst Wien im MAK
Bildbeschreibung:
Die Galerie Chobot präsentiert Karl Anton Fleck auch auf der
Kunst Wien
im MAK 16.10. - 19.10.2003 Stand EG 13
Selbstverleugnungen und Selbstverfremdungen nehmen einen breiten
Raum ein im zeichnerischen Werk von Karl Anton Fleck: "Wenn
Sie zu mir Hundsvich sagen, ist’s für mich ein Kompliment.
Sagen Sie nur nicht mit Hochachtung und eitlem Blick Mensch zu
mir", vermerkte Fleck auf einem Blatt Papier, "sagd’s
Hundsvich zu mir – bitte", forderte er. Das Infragestellen
der eigenen Persönlichkeit, der Wunsch, seine Identität
zu verlassen, in eine andere Haut zu schlüpfen, war bei Karl
Anton Fleck Ausdruck einer tiefen Einsamkeit, eines masochistischen
Leidens: Sich in die Enge treiben, vor sich selbst davonlaufen
auf der Suche nach einem anderen Ich. So sind seine Selbstbildnisse
keineswegs die Manifestation einer Eitelkeit, sondern Zeugnisse
für das Bestreben, die eigene Persönlichkeit auszulöschen,
zu verstümmeln. Zwanzig Jahre nach dem Tod des Zeichners und
Graphikers hat sich der kunstgeschichtliche Standort Flecks gefestigt.
Karl Anton Flecks Arbeiten sind Bruchstücke, allgemein gültige
Fragmente einer zerbrechenden Welt, Vexierbilder im eigentlichen
Sinn des Wortes – Bilder, die irreführen, quälen,
necken.
Sich vorzudrängen, sich anderen aufzudrängen war nicht
seine Sache. Lieber hat er sich im Hintergrund gehalten, hat gezeichnet,
als sich um die Vermarktung seiner Arbeiten zu kümmern. Das
Ausleben seiner Kreativität genügte ihm zur Bewältigung
innerer Spannungen. Sein Brotberuf – Photoretuscheur – läßt
sich in seinem Werk nachweisen. Er war gewohnt, alles als Negativ
zu sehen – was keineswegs negativ zu verstehen ist, sondern
lediglich als Gegensatz zu positiv. Es hat einige Zeit gedauert,
bis ich begriffen habe, was er meinte, wenn er erklärte "hier
muß ich noch ein Licht aufsetzen" und dabei wie wild
mit dem Zeichenstift gestrichelt hat. Hell ist dunkel und dunkel
ist hell in seinen Zeichnungen, eben negativ. Über diese Eigenwilligkeit
in seinem Werk, möglicherweise auch in seiner Person – hätte
ich gern mehr von ihm selbst erfahren. Vielleicht auch über
die Verfremdungen seiner Selbstporträts, diese "Fleckviecher",
wie er sie genannt hat, oder diese Verwandlungen in andere Personen
und Tiere.
Die Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit gegen
Ende der sechziger Jahre, wie sie sich etwa in der Studentenbewegung
und der Popkultur manifestierten, hinterließ auch im Werk
von Karl Anton Fleck eine Zäsur. Die Unruhe und Spannung,
die sich einer Generation bemächtigt hatte, übertrug
sich ebenso auf den Graphiker. An die Stelle der Abstraktion traten
konkrete Aussagen. Figuren, Hände, Gesichter tauchten auf.
Inhalte drängten sich in den Vordergrund. Ästhetische
Wirkungen waren nicht mehr länger Selbstzweck, sondern eine
Selbstverständlichkeit.
In dieser Zeit besuchte Fleck regelmäßig den legendären
Abendakt Herbert Boeckls. Durch die Auseinandersetzung mit dem
nackten menschlichen Körper erschloß sich ihm die Gegenständlichkeit,
eine Entwicklung, die er in den Porträtdarstellungen der nächsten
Jahre konsequent fortführen sollte.
Als Fleck 1970 begann, das Porträt als künstlerisches
Genre für sich zu entdecken, war seine Verwunderung über
die weitgehende Mißachtung dieser Ausdrucksmög-lichkeit
in der zeitgenössischen Kunst für ihn ein Anlaß aufzuzeigen,
daß Photo und Bild zwei gänzlich unterschiedliche Dinge
sind. Auf photographische Ähnlichkeit, wie sie von den Photorealisten
propagiert wurde, hat er in seinen Porträtzeichnungen und
Selbstporträts nie Wert gelegt. Das war ihm genauso langweilig
wie eine verkrampft-statische Haltung seiner Modelle. Darum hat
es ihn auch nicht gestört, wenn man sich bewegt hat, während
er zeichnete. Als er von mir eine Serie von Porträts anfertigte,
war es mir sehr angenehm, daß ich dabei reden, trinken, rauchen
durfte. Er wollte, daß sich seine Modelle so verhielten,
wie sie es immer taten, sie sollten sich nicht durch den Blick
des Zeichners irritieren lassen.
Als Erbe von Flecks tachistischer Phase – während der
ersten Hälfte der sechziger Jahre – können die
kalligraphischen Einsprengsel gesehen werden, Schriftzeichen, deren
Sinn in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Am Betrachter liegt
es, ob er sich auf eine Entzifferung einläßt. In zahlreichen
Arbeiten des Jahres 1967 finden sich zudem Elemente des automatischen
Zeichnens, gleichfalls Reste tachistischer Auffassung. Schriftliche
Hinzufügungen, insbesondere die graphische Gestaltung mancher
Bildtitel als integrierten Bestandteil einer Zeichnung, bleiben
für den Künstler charakteristisch. Oftmals stellte Fleck
die Perspektive auf den Kopf, schlug ihr ein Schnippchen, indem
er ein Blatt während des Zeichnens drehte. Dem Raum gestand
er hingegen eine untergeordnete Rolle zu, denn es ging ihm nicht
darum, die Illusion von Dreidimensionalität auf dem zweidimensionalen
Papier zu erwecken. Vielmehr diente ihm die Fläche als Projektionsebene,
um Ausschnitte unter verschiedenem Blickwinkel, Fragmente des täglichen
Erlebens und Empfindens übereinander und nebeneinander zu
einem Ganzen, einer neuen Einheit zusammenzufügen. Die Reizüberflutung,
der sich ein Mensch heute ausgesetzt sieht, findet in der Überfülle
Fleckscher Blätter Ausdruck und Entsprechung. Durch die Hintertüre
des Spiegelbildes – insbesondere bei den Porträts und
Selbstporträts – verschaffte sich die Abbildung des
Raumes Zutritt.
Um die Aufmerksamkeit des Betrachters zu mobilisieren, ihn mit
seiner Aussage zu konfrontieren und seinen Blick gefangen zu nehmen,
integrierte Karl Anton Fleck in den Jahren 1969 bis 1971 in seine
Zeichnungen Signale, deren abstrahierte Umrisse von Metaphern und
Symbolen erfüllt sind, Chiffren der Wahrnehmung – private
Piktogramme.
In ihrer Empfindlichkeit und Sensibilität erfassen seine Arbeiten
die Problematik unserer Zeit. Flecks Phantasie erschien schier
unerschöpflich. Indem er seine Umgebung skeptisch betrachtete,
bekam er stets neue Anregungen. Am Morgen, wenn er zur Arbeit ging:
Menschen, die ins Büro hasteten, Straßen überquerten, überfüllte
Straßenbahnen, Hektik, Autos, Hunde mit ihren Herrchen und
Frauchen, Tauben, schließlich die Bürokraten. Die Umwelt,
die er ironisch kritisierte, verfremdete und abbildete, um sie
uns vor die Nase zu halten, so wie sie wirklich ist – verzerrt,
verrückt, bösartig, erbarmungslos, brutal. Das waren
die Stadt-Landschaft, wobei Fleck niemals seinen Beobachterposten
verließ.
Auf der anderen Seite die Land-Landschaft. Sie hat der Stadtmensch
Fleck während eines Aufenthaltes im Neumarkter Atelierhaus
entdeckt. Flecks Landschaften sind organische Wesen, die leben
und atmen, sich bewegen, grimmige Ungeheuer, die drohen und selbst
bedroht werden, von anderen – weitaus gefährlicheren.
Menschen sind in Flecks Landschaften bloß Staffage, willkürlich
vorhanden, ausgesetzt und hilflos sich selbst überlassen.
Der 1928 geborene Künstler wurde von seinen Eltern zu einer
Lehre im graphischen Gewerbe gedrängt. Als Maler und Zeichner
war er Autodidakt. 1953 ging er für fünf Jahre nach Schweden,
wo er mit Landschaftsaquarellen großen Erfolg hatte. Wieder
zurück in Wien findet Fleck allmählich seinen unverkennbaren
Stil: Aussparungen und Reduktion auf das Wesentliche einerseits,
Verzerrungen und Anhäufung von Details und Symbolen andererseits.
Zusammengehalten wird dieses Konglomerat von einem klaren, markanten
Umrißstrich, der die Konturen exakt festlegt. Diesem statischen
Element gegenübergestellt werden nervöse, dynamische
Strichbündel. Sie setzen die Akzente und Schwerpunkte, wodurch
den Zeichnungen die ihnen eigene Spannung verliehen wird. Häufig
wird durch die Verwendung von Wachskreiden dieser Effekt noch verstärkt.
Mit einem Tuch verwischte der Künstler den unfixierten Bleistiftstrich,
um durch die Grautönung eine "weichere" Fläche
zu erhalten, wobei mit Hilfe eines Radiergummis eine Tiefenwirkung,
eine Art "Höhung" erzielt wird. Von fundamentaler Wichtigkeit für den Zeichner Fleck ist der
menschliche Körper. In nahezu allen Zeichnungen, selbst in
den Landschaften, finden sich Fragmente von Gliedmaßen sowie
von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen.
Karl Anton Fleck beschäftigte sich aber nicht nur mit der
bildenden Künst, er war Universalist. Als der Jazz am Ende
des Zweiten Weltkriegs in Wien Fuß faßte, war Fleck
Musiker. Er spielte in verschiedenen Clubs und studierte Schlagzeug
am Institut für Jazzmusik. Nachdem er Ende der fünfziger
Jahre das professionelle Musizieren aufgab, pflegte er dennoch
zu Vernissagen gemeinsam mit Freunden Free-Jazz-Sessions abzuhalten.
Diese Abende wurden meist lang, und die Musik erfaßte sowohl
die Musiker als auch die Zuhörer. Das Gesicht des Percussionisten
Fleck nahm einen anderen Ausdruck an als jenes des Zeichners. Offenbar
sprach das Zeichnen seine linke Gehirnhälfte mehr an als die
Musik, die sich in einem beinahe euphorischem Glücksgefühl
manifestierte. Während der Zeichner bei der Arbeit alle paar
Minuten einen Schritt von der Staffelei zurücktrat, in der
Rechten seinen dicken schwarzen Graphitstift, die Stirn runzelte,
die Augenbrauen hochzog und mit einem kritisch-prüfenden Blick
das Ergebnis maß, genoß der Musiker die Trancehaftigkeit
des Rhythmus.
Die schriftliche Hinterlassenschaft des Künstlers Karl Anton
Fleck zeugt von einer Beschäftigung mit der Sprache in Relation
zu seiner Arbeit und seinem Lebensgefühl: "Imma / waun
/ i / aufwach / bin / i / vawundat". Die Verwunderung betraf
den Zustand der eigenen Existenz, seine Todessehnsucht und den
Hang zur Selbsterniedrigung. Die schizoide Haltung dieser Welt
gegenüber versetzte Fleck in eine permanente kreative Spannung.
Während der Schreiber Fleck sich in ironisch-phantastischer
Weise mit an Kochrezepte erinnernde Notizen zu noch anzufertigenden
Bildern beschäftigte, zog der Dichter Fleck das Resümee: "Es
/ gibd / kaum / a Stund / wo / i / ned / an Duaschd hob / und /
ia / schauds mi olle / so ausdriggad au". Am 5. Dezember 1983 starb Karl Anton Fleck. Die langsame Selbstauslöschung
mit Hilfe von Alkohol war abgeschlossen.
Ein Essay von Manfred
Chobot |
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